K-Culture und die Koreanische Welle: Was genau ist eigentlich Hallyu?
Jieun Kiaer: Das Oxford English Dictionary definiert Hallyu – die Koreanische Welle – als Anstieg des weltweiten Interesses an der südkoreanischer Popkultur. Oft geschieht dies durch Musik, Film, Fernsehen, Essen, Mode und Beauty. Aber Hallyu ist mehr als ein kultureller Trend: Sie ist die Entstehung einer koreanisch geprägten, globalen Kultur, welche Medien, Wellness, Design, Literatur und das tägliche Leben beeinflussen. In vielerlei Hinsicht agiert sie wie eine lebendige Marke. Denn die kulturelle Bewegung ist flexibel und entwickelt sich ständig weiter, indem sie Koreas reiche Traditionen mit mutigem, modernem Storytelling verbindet. Von Hautpflege bis zum Kino hat sich Hallyu zu einem umfassenden kulturellen Ökosystem entwickelt – im Erbe verwurzelt, aber auf ein weltweites Publikum zugeschnitten.

Jieun Kiaer ist Professorin für Koreanische Sprachwissenschaft an der Universität Oxford. Als führende Expertin zur Korean Wave (Hallyu) untersucht sie den globalen Einfluss koreanischer Kultur. Sie ist Autorin der Werke «The Language of Hallyu» und «Delicious Words: East Asian Food Words in English».
Wie wurde die koreanische Kultur weltweit so populär?
Der Aufstieg von Hallyu begann mit K-Pop. Die mitreissende und Fans getriebene Musikindustrie erlangte durch ihre Kreativität, Choreografien und ihr Gemeinschaftsgefühl internationale Aufmerksamkeit. Geblieben sind die Menschen aufgrund der Tiefe, die hinter K-Pop steckt. Soziale Medien und Streaming-Plattformen verstärkten die Reichweite der koreanisch inspirierten Kultur und machten einst verborgene Aspekte des koreanischen Alltagslebens für die Welt sichtbar. TV-Serien führten die Zuschauer in kulturelle Rituale ein, wie gemeinsame Mahlzeiten, traditionelle Werte und emotionale Erzählungen. Neben der Unterhaltung erhielt das Publikum eine Einladung zu einem Lebensstil. Diese emotionale Zugänglichkeit war für die weltweite Verbreitung entscheidend.
Welchen Einfluss hat die Koreanische Welle auf europäische Branchen, insbesondere in den Bereichen Ernährung, Gesundheit und Beauty?
Der Einfluss ist allgegenwärtig. In der Ernährung erleben koreanische Grundnahrungsmittel einen Boom – von Kimchi und Gochujang bis hin zu Ramyeon (koreanische Instantnudeln) und Buldak (Feuernudeln). Die Küche ist würzig, verspielt und herausfordernd und fasziniert durch Gemeinschaft und Komfort.
Im Beauty-Bereich haben koreanische Routinen und Inhaltsstoffe den globalen Hautpflegemarkt neu definiert. Der Fokus von K-Beauty auf Layering, Feuchtigkeitsversorgung und sanfte Pflege inspirierte zur Abkehr von aggressiven, schnell wirkenden Behandlungen hin zu einem ganzheitlichen Ansatz der Hautgesundheit.
Im Bereich Gesundheit und Wellness werden koreanische Traditionen – von fermentierten Lebensmitteln über Kräuterheilmittel bis hin zu achtsamen Praktiken – als Teil einer neuen Philosophie übernommen. Diese legt Wert auf das Timing, den Prozess und die Absicht. Ich habe kürzlich ein koreanisches Kochbuch aus dem 18. Jahrhundert übersetzt. Es beschreibt, wie beispielsweise die Fermentation ebenso sehr von der Geduld und Haltung abhängt, wie von den Zutaten. Darin steckt viel Weisheit, die weiterhin auf zunehmendes Interesse stösst.
Passen sich koreanische Trends an die westliche Kundschaft und Märkte an?
Ja, denn genau diese Anpassungsfähigkeit ist eine der Stärken von Hallyu. Koreanische Marken reagieren äusserst flexibel auf globale Zielgruppen. Nehmen wir Ramyeon als Beispiel: Traditionell sind die Instantnudeln scharf und intensiv gewürzt. Heute sind sie für europäische Konsument*innen in verschiedenen Schärfegraden erhältlich, mit angepasster Verpackung und Zutatenliste.
K-Beauty-Marken adaptieren ihre Kommunikation, Produktnamen und sogar Texturen und Düfte, um den Erwartungen westlicher Märkte zu entsprechen. Dabei bewahren sie ihre einzigartige Identität. Der Kern der Philosophie – Sorgfalt, Balance und Innovation – bleibt erhalten, während sich das Erscheinungsbild ständig weiterentwickelt.
Was fasziniert Sie an der K-Kultur und was verbinden Sie persönlich mit Hallyu?
Was mich am meisten fasziniert, ist die fliessende, hybride Natur von Hallyu. Sie ist alles andere als statisch. Sie entwickelt sich, passt sich an und spiegelt die Komplexität des realen Lebens wider. Das berührt Menschen, weil Hallyu unsere eigenen gemischten Identitäten widerspiegelt – Herkunft und Zukunft, lokal und global, vertraut und neu. Geboren in Korea und nun seit 24 Jahren im Vereinigten Königreich, fühlt sich Hallyu für mich sehr persönlich an. Sie spiegelt wider, wie ich lebe: Ich bewege mich zwischen Kulturen, baue Brücken zu anderen Traditionen und schaffe neue Formen der Zugehörigkeit.
In meiner Arbeit als Beraterin für das Oxford English Dictionary habe ich beobachtet, wie koreanische Wörter, insbesondere Essensbegriffe, durch Serien und den Alltag in die englische Sprache übergeschwappt sind. Wenn Figuren in koreanischen Serien gemeinsam essen, lernt das westliche Publikum die gemeinschaftliche, emotionale Seite der koreanischen Küche kennen. Diese kulturellen Spuren, so klein sie auch sein mögen, haben ein grosses Gewicht.
Für mich ist Hallyu nicht nur etwas, das ich studiere, es ist etwas, das ich lebe. Damit schaffe ich Bedeutung und bleibe verwurzelt, während ich gleichzeitig neue Verbindungen knüpfe. Darum wächst es weiter: Hallyu zeigt, wo wir sind und wohin wir gehen.
Am 19. Juni 2025 spricht Jieun Kiaer an der International Food Innovation Conference am Gottlieb Duttweiler Institut über den Einfluss von K-Culture auf aktuelle Food-Trends und Schönheitsstandards. Erfahren Sie von ihr und weiteren führenden Wissenschaftlerinnen und Vordenkern, wie Unternehmen vom neu entstehenden Milliardenmarkt an der Schnittstelle von Ernährung, Gesundheit und Beauty profitieren.