Der folgende Text basiert auf einem Auszug aus dem GDI-Trend-Paper «Gutes Gewissen aus dem Labor? So steht es um die Akzeptanz von kultiviertem Fleisch», das Sie kostenfrei herunterladen können.
Food und Ernährung sind geprägt von der Spannung zwischen Tradition und Innovation. Das Sprichwort «Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht» deutet zwar auf eine verbreitete Skepsis gegenüber neuen Lebensmitteln hin. Doch gleichzeitig war die Menschheit immer aufgeschlossen für Neues. Über Jahrtausende hinweg haben wir nicht nur neue Nahrungsmittel entdeckt, sondern auch neue Zubereitungsmethoden entwickelt. Von den grundlegenden Techniken wie Braten und Kochen, Fermentation und Frittieren bis hin zu modernen Innovationen wie Konservendosen, Pasteurisierung, Extrusion, Molekularküche, gentechnische Modifikation und zelluläre Landwirtschaft. Unsere kulinarische Evolution ist geprägt von der Suche nach neuen Geschmackserlebnissen, Effizienzsteigerungen und nachhaltigen Lösungen.
Wie wichtig diese Offenheit ist, zeigt ein Blick auf die Daten: 2050 werden knapp 10 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Ihren Proteinbedarf vor allem aus traditioneller Tierproduktion zu decken, ist kaum möglich, in jedem Fall äusserst ineffizient. Neue Nahrungsmittel zu entwickeln, ist unumgänglich. Laborfleisch ist so ein «Novel Food». Es wird aus Stammzellen im Bioreaktor gezüchtet und hat viele Vorteile: So entfallen die Massentierhaltung und der Einsatz von Antibiotika, Flächen und Wasserverbrauch bei der Herstellung sind geringer, für den Futtermittelanbau müssen keine Regenwälder abgeholzt werden und der Nährstoffmix im Fleisch kann an spezifische Zielgruppen angepasst werden.
Akzeptanz von Novel Foods in der Schweiz
Doch was hält die Schweiz von Novel Foods? Um das herauszufinden, hat das Gottlieb Duttweiler Institut im Mai 2023 die Schweizer Bevölkerung zu ihrer Sicht auf neun neuartige Lebensmittel befragt. Den Proband*innen wurde folgende Frage gestellt: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie diese Lebensmittel in Zukunft ausprobieren würden?
Die Ergebnisse der Befragung sind eindeutig. Die Schweizer*innen schauen skeptisch auf die Neuerungen der Food-Industrie. Insekten als Nahrungsmittel werden besonders kritisch beäugt. Nur 15 Prozent der Befragten halten es für wahrscheinlich, dass sie Insekten auch nur mal probieren. Bei Kaffeeersatz aus Pilzen und kultiviertem Fleisch haben 17 beziehungsweise 20 Prozent Lust auf den Versuch. Im Mittelfeld liegen gentechnisch veränderte und präzisionsfermentierte Produkte. Etwas mehr Offenheit gibt es gegenüber pflanzlichen Ei- und Fleischalternativen (29 und 28 Prozent) sowie Cannabis-Produkten mit CBD- oder THC-Gehalt (36 Prozent). Bei Algen ist die Offenheit am grössten. 39 Prozent wollen zulangen, 26 sind noch unentschlossen.
In den Daten scheint ein Muster erkennbar: Nahrungsmittel mit einer starken Tech-Komponente wie Laborfleisch, gentechnisch veränderte oder präzisionsfermentierte Produkte stossen eher auf Skepsis, während als natürlicher wahrgenommene Produkte wie Algen und alternative Proteine aus Pflanzen eher akzeptiert werden. Ein Ausreisser sind Insekten. Sie lassen sich ohne grossen technischen Aufwand als Nahrungsmittel verwenden und ihr Verzehr ist in anderen Kulturen seit Jahrtausenden üblich. Doch in Europa gibt es starke kulturelle Barrieren. Der Gedanke an den Verzehr von Insekten löst bei vielen Konsument*innen Unbehagen oder Ekel aus.
Mehr zu diesem Thema erfahren Sie an der 4th International Food Innovation Conference, die am 19. Juni 2024 am Gottlieb Duttweiler Institut stattfinden wird. Wir diskutieren mit Vordenker*innen, Branchen- und Ernährungs-Expert*innen über das Thema «Culture Clash: Wenn Food Innovation auf Tradition trifft» und erklären, welche kulturellen Hürden für Food Innovationen bei der Produktion, der Zubereitung und während des Konsums überwunden werden müssen. Und wir identifizieren kulturelle Chancen – wenn etwa etablierte Gewohnheiten und Rituale einen nachhaltigeren Genuss ermöglichen.