Warum Food-Innovationen so lange brauchen

ChatGPT erreichte innerhalb von fünf Tagen eine Millionen Nutzer. Im Gegensatz dazu benötigen Food-Innovationen oft Jahre, um eine breite Akzeptanz zu finden. Sie müssen nicht nur preislich und geschmacklich überzeugen, sondern auch tief verwurzelte Esskulturen umkrempeln.
7 März, 2024 durch
Warum Food-Innovationen so lange brauchen
GDI Gottlieb Duttweiler Institute

Autor: Davide Brunetti

Ob nun ChatGPT, TikTok oder Instagram, die Erfolge der Tech-Industrie prägen die Erwartungen und geben das Innovationstempo vor, an dem sich andere Branchen messen. Doch AI und Apfel lassen sich schlecht vergleichen; jede Branche weist eine andere Innovationsdynamik aus. Das GDI hat analysiert, wie lange es dauert, bis sich Food-Innovationen im Massenmarkt durchsetzen und was die wesentlichen Unterschiede zur Innovationsdynamik in der Tech-Industrie sind.

Darstellung 1: Anzahl monatliche aktive Nutzer auf Instagram, TikTok und ChatGPT. Diese Anwendungen weisen durchschnittliche jährliche Wachstumsraten von 23.1% (Instagram), 64.2% (TikTok) oder erstaunlichen 775% (ChatGPT) auf, die weit über gewöhnlichen Produktwachstumsraten in anderen Branchen gehen.

Am Beispiel der Nahrungsmittelindustrie können klare Unterschiede festgestellt werden. Wir haben die Wachstumsraten mehrerer Produktkategorien ausgewertet, die allesamt in den letzten Jahren hohe mediale Aufmerksamkeit erzielt haben. Diese Kategorien sind: Bio-Nahrung, alkoholfreies Bier, pflanzliches Fleisch und Cannabis-Produkte. Obwohl diese Kategorien keine radikalen (Produkt-)Innovationen sind, kann ein anhaltender Hype um all diese Kategorien herum festgestellt werden. Innovation ist in diesem Kontext also als eine Wahrnehmungsveränderung der Konsumenten zu verstehen. Als Folge dieser Veränderung ändern sich auch Werte, Präferenzen und Konsumgewohnheiten – man spricht dann von einer kulturellen Innovation. Ein Blick auf die Wachstumszahlen dieser Produktkategorien hinterlässt jedoch ein Gefühl der Ernüchterung.


Darstellung 2: Bio-Lebensmittel wachsen mit einer jährlichen Durchschnittsrate von 10.4% (gemessen seit 1999), alkoholfreies Bier mit einer jährlichen Durchschnittsrate von 11% (gemessen seit 2014), pflanzliches Fleisch mit einer jährlichen Durchschnittsrate von 19.7% (gemessen seit 2016) und Cannabis Produkte mit einer jährlichen Durchschnittsrate von 28.4% (gemessen seit 2016). Es ist anzumerken, dass diese Zahlen nicht die Einführung in den Markt der jeweiligen Produkte widerspiegeln, sondern lediglich die zur Verfügung stehenden Daten. Weiter ist anzumerken, dass es je nach Land beträchtliche Unterschiede in den Bio-Standards geben kann und diese Produkte deshalb untereinander nicht zwingend vergleichbar sein müssen. Mehr Informationen finden Sie hier. Letztlich ist zu erwähnen, dass die Umsatzzahlen für Cannabis strikt legalisierte Produkte abbilden. Weiter sind in den Umsatzzahlen für Cannabis drei Arten von Nutzung enthalten: Freizeitnutzung, medizinische Nutzung und therapeutische Nutzung. Mehr Informationen dazu finden Sie hier.

Während der Wechsel zur neuen, besseren oder trendigeren Social-Media-Plattform kaum grossen Aufwand erfordert, und teilweise mit wenigen Mausklicks ausgeführt werden kann, sieht es in der Nahrungsmittelindustrie deutlich anders aus. Dieser Unterschied ist auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen, wie zum Beispiel den Preis, die Verfügbarkeit oder den Geschmack. Wir möchten uns jedoch auf einen Faktor fokussieren, der durchaus zentral ist: die Kultur. Food-Innovationen versuchen Änderungen von Verhalten herbeizuführen, die bereits tief in unserer Kultur verankert sind und an denen wir meist auch stärker festhalten, als an Internetplattformen.

Beim Essen geht es um mehr als das Produkt, Nährstoffdichte, Kalorien. Essen ist ein Kulturgut. Es geht nicht nur darum, was man isst, sondern auch wie, wo und mit wem. Wir zahlen auch für eine langsame Mahlzeit in einem edlen Restaurant mehr als für Fast-Food. Entsprechend reicht es nicht aus, nur ein kalorienärmeres, umweltfreundlicheres oder schlicht günstigeres Produkt anzubieten, damit dieses Massenakzeptanz findet. Wenn solche Produkte auf viel Anklang stossen, dann weil oftmals unterschwellige kulturelle Bewegungen den Antrieb geben.

Food-Innovationen haben es deshalb deutlich schwerer als Tech Innovationen aus dem obigen Beispiel. Food Innovationen müssen gezwungenermassen gegen den Mainstream-Strom schwimmen und dies ist selten einfach. Pflanzliches Fleisch und legale Cannabis Produkte konnten zwar beachtliche Wachstumsraten aufzeigen, decken aber vergleichsweise kleinere Märkte ab. Sie konnten Marktnischen, aber nicht den Gesamtmarkt, erobern. Dennoch: die Akzeptanz dieser Produkte weist auf einen kulturellen Wandel hin: Er beginnt in Sub-Kulturen, die sich langsam, aber stetig ausbreiten. Instagram, TikTok und ChatGPT, die allesamt über 1.5 Milliarden monatliche aktive Nutzer zählen, beweisen, dass deren Nutzung keinen Kulturwandel nötig hat; die gegenwärtige Weltkultur ist bereits auf das Angebot dieser Anwendungen reibungslos abgestimmt. Pflanzliches Fleisch, (legale) Cannabis Produkte und gewiss auch alkoholfreies Bier, die allesamt tief verwurzelte Essstandards herausfordern, schaffen es nicht, diese erstaunlichen Reichweiten in kürzester Zeit zu erlangen.

Bio-Lebensmittel widerspiegeln eine langsame Erfolgsgeschichte, die sich vermehrt im Mainstream etabliert: «Bio Suisse» wurde 1981 eingeführt und ihre Bio-Produkte erreichen heute in der Schweiz einen Marktanteil von 11.2% des Gesamtsortiments. Ähnlich verhält es sich mit dem deutschen Bio-Lebensmittel-Betrieb Alnatura, welches seit der Gründung in 1984 sich bereits erfolgreich in 14 verschiedenen europäischen Ländern etablieren konnte. Allerdings bleiben die Wachstumsraten dabei bescheiden, wenn man sie mit den obigen Tech-Innovationen vergleicht: Der weltweite Umsatz von Bio-Lebensmitteln ist zwischen 1999 und 2021 mit einer jährlichen Durchschnittsrate von 10.4% gewachsen.

In der Nahrungsmittelbranche reicht es also nicht, ein schnelleres, (nährstoff-)effizienteres oder billigeres Produkt auf den Markt zu bringen, um die Kundschaft für sich zu überzeugen. Es braucht stattdessen mehr Verständnis für die kulturellen Faktoren unserer Essgewohnheiten. Mehr dazu erfahren Sie an der diesjährigen International Food Innovation Conference.

Quellen:

Über den Autor

Davide Brunetti

Praktikant Think Tank

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