Warum die Digitalisierung dem Klima auch schadet

Digital heisst gleich auch alles klimafreundlicher? Nicht unbedingt, meint GDI-Forscher Jan Bieser in einem Essay über die Nachhaltigkeit der Tech-Branche. Wie lassen sich klimaschädliche Nebeneffekte abstellen? Welche Verantwortung hat die Branche?
25 November, 2022 by
Warum die Digitalisierung dem Klima auch schadet
GDI Gottlieb Duttweiler Institute
 

Das Essay erschien ursprünglich in der «SonntagsZeitung» vom 30.10.2022.

Grosse IT-Unternehmen brüsten sich gern damit, dass sie ihre Dienste klimafreundlich bereitstellen. Google gibt zum Beispiel an, seit 2007 im Betrieb klimaneutral zu sein und seit 2017 ausschliesslich erneuerbare Energien zur Deckung des eigenen Strombedarfs zu nutzen. Apple und Meta (die Firma hinter Facebook, Instagram und Whatsapp) wollen im Betrieb seit 2020 keine Treibhausgasemissionen mehr verursachen. Microsoft wiederum hat angekündigt, dieses Ziel bis 2025 zu erreichen.

Viel mehr noch: Die Tech-Firmen versprechen nicht nur, den eigenen Fussabdruck zu minimieren, sondern auch anderen dabei zu helfen, klimafreundlicher zu werden. So könnten wir dank Videokonferenzen, E-Mail und Cloud-Speicher von zu Hause arbeiten und vermieden dadurch klimabelastendes Pendeln. Smart-Home-Lösungen reduzierten den Heizenergieverbrauch. Mobilitäts-Apps erleichterten uns den Umstieg auf klimafreundliche Verkehrsmittel. Laut einer Studie der GSMA, der Industrievereinigung der Mobilfunkanbieter, sollen Technologien für mobile Kommunikation im Jahr 2018 so viel Emissionen vermieden haben, wie Russland in einem Jahr ausstosse. Oder zehnmal mehr als die Bereitstellung der Mobilfunknetze verursache. Die Botschaft also: Was digital ist, ist auch klimafreundlich.

Unbestritten kann digitale Technologie dazu beitragen, Prozesse effizienter und klimafreundlicher zu gestalten. Dieses Potenzial sollte auch unbedingt ausgeschöpft werden. Allerdings ist die Betrachtung einseitig: Die klimaschützenden Effekte der Digitalisierung werden in den Vordergrund gestellt, die klimaschädlichen vernachlässigt. Denn digitale Technik steigert klimaschädlichen Konsum zuweilen auch. E-Commerce etwa erhöht die Nachfrage nach Produkten aus fernen Ländern, deren Herstellung und Transport aber Emissionen produzieren. So verursachte der internationale Frachtverkehr im Jahr 2010 2,1 Megatonnen CO2 – sieben Prozent der globalen CO2-Emissionen. Bis 2050 soll sich der Ausstoss sogar fast vervierfachen.

Trotzdem nutzen Online-Shops zur Absatzförderung Techniken, die uns zum Klick auf den Bestellbutton verleiten sollen. Dahinter stecken ausgeklügelte, immer intelligentere Algorithmen sowie verhaltenspsychologische Modelle. So suggerieren Formulierungen wie «Nur noch drei Stück zu diesem Preis erhältlich» künstlich Knappheit und Dringlichkeit. Buttons, um Sparabos abzulehnen, werden mit «Nein danke, ich bin reich genug» überschrieben, um emotionalen Druck auszuüben. «Dark Patterns» nennt man solche Internet-Praktiken, die Nutzer und Nutzerinnen dazu anleiten, gegen ihre eigenen Interessen zu handeln. Für das Büro für Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestags ist klar: «Der Einsatz von Dark Patterns ist unethisch, mitunter unlauter und ggf. betrügerisch.» Diese Internetdesigns sind also aus klimapolitischer und auch aus sozialethischer Perspektive fragwürdig.

Solche emissionssteigernden Effekte existieren auch ausserhalb des Handels: Selbstfahrende Autos können den Umstieg auf den öffentlichen Verkehr verlangsamen, Online-Buchungsplattformen die Nachfrage nach Flugreisen erhöhen, und eine effizientere Tierhaltung die Fleischproduktion fördern. Die Kommunikation von Digital-Unternehmen begnügt sich indes zumeist mit den Massnahmen zur Senkung des eigenen Fussabdrucks und mit Klimaschutzbeiträgen in anderen Branchen. Emissionssteigernde Effekte hingegen bleiben oft aussen vor. Fairer und glaubwürdiger wäre jedoch, beide Seiten der Medaille zu beleuchten. Denn als Gesellschaft müssen wir die Wirkungsketten, welche zur Erhöhung von Emissionen führen, besser verstehen. Nur so können Konsumenten und Konsumentinnen die tatsächlichen Klimaauswirkungen ihrer Kaufentscheide verstehen, und nur so können Anleger und AnlegerInnen klimaschädliche Investitionen vermeiden.

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