Sharing Economy: Wo lässt sich ein Preisschild anbringen?

Finanzielle Transaktionen werden immer einfacher. Bei einer Fahrt mit Uber oder einer Übernachtung mit Airbnb wird kaum noch bemerkt, dass Geld fliesst. Denkbar ist, dass zukünftig unser Alltag von Mikrotransaktionen begleitet wird, die unterhalb unserer Wahrnehmungsschwelle laufen.
29 November, 2018 by
Sharing Economy: Wo lässt sich ein Preisschild anbringen?
GDI Gottlieb Duttweiler Institute
 

Dieser Text ist ein Auszug aus der Studie «Die neuen Freiwilligen – Die Zukunft der zivilgesellschaftlichen Partizipation», die als kostenloser Download erhältlich ist.

Wenn es um die Zahlungsbereitschaft für soziale Leistungen geht, ist nicht nur der Wille entscheidend, sondern auch die Verrechenbarkeit. Die Bezahlung einer Leistung bedarf der Aushandlung eines Preises. Bei kleinen Leistungen wie dem Offenhalten einer Tür oder dem Ausleihen einer Bohrmaschine würden die Kosten der Aushandlung den Preis selbst übertreffen. Es lohnt sich also nicht. Auch lässt sich ein Preis oft nicht einfach bestimmen. Wenn ich meinem Nachbarn meine Bohrmaschine gegen Geld ausleihen will, werde ich nur mit grosser Mühe ermitteln können, wie stark er sie abgenutzt hat. Es fehlt ein effizienter Weg der Preisbestimmung.

Der Journalist Paul Mason beschreibt in seinem Buch «Postcapitalism» die Kommerzialisierung des Alltags. In der sogenannten Sharing Economy würden Schlafzimmer, private Autos, Rollschuhe, unsere Freizeit etc. zu handelbaren Gütern gemacht. Damit werde es einfacher, für Dinge zu bezahlen, die wir vorher entweder gar nicht oder in einem nichtmarktwirtschaftlichen Beziehungsmodus tauschten. Der Markt dringt somit immer weiter in unser Privatleben vor.

Eine wichtige Voraussetzung für die Kommerzialisierung des Alltags ist also die Verrechenbarkeit. Sie wird dank der Digitalisierung einfacher. Es braucht kein Taxameter mehr, um eine Autofahrt genau abzurechnen. Das Smartphone kann die Fahrt fast auf den Meter genau bestimmen und daraus einen Betrag berechnen, der automatisch überwiesen wird.

Mit zunehmender Quantifizierung werden Algorithmen die Welt immer besser abbilden. Handlungen werden verrechenbar. Und die Quantifizierung nimmt rasend zu. Wir messen unsere Schritte, unsere Ausgaben, unsere Gesundheit. Mit dem «Internet der Dinge» (Internet of Things) lässt sich die genaue Position und der Zustand jedes Objektes jederzeit bestimmen. Wir können die Bohrmaschine ausleihen, die Leihdauer sekundengenau berechnen oder die Anzahl der Umdrehungen des Bohrkopfs. Gleichzeitig werden finanzielle Transaktionen immer einfacher. Bei einer Fahrt mit Uber oder einer Übernachtung mit Airbnb wird kaum noch bemerkt, dass Geld fliesst. Automatisiert wechselt es den Besitzer. In einer digital vermessenen Welt ist es möglich, jede Verhaltensweise automatisch finanziell abzugelten. «Getrennte Rechnung, gute Freundschaft» – manchmal ist es sogar angenehmer, für etwas zu bezahlen, als ein Geschenk anzunehmen. Denn ein Geschenk bedeutet auch immer eine Verpflichtung: Erwartet wird Dankbarkeit oder eine Gegenleistung.

In der «Relational Models Theory» ist die Beziehungsform der Marktbewertung diejenige mit der geringsten Verbindlichkeit. Daher verlor beispielsweise die Plattform Couchsurfing, auf der Menschen unentgeltlich Schlafplätze anbieten, an Popularität, als Airbnb aufkam. (Natürlich gab es auch andere Gründe.) Auf Airbnb zahlt man für die Übernachtung, die Beziehungsform ist geklärt. Niemand erwartet, dass man sich gut versteht oder sogar Zeit miteinander verbringt wie beim Couchsurfing. Die verbindlichere Beziehungsform auf Couchsurfing ist anstrengender und ungewisser als Beziehungen, die auf Marktbewertung basieren. Viele Menschen wählen lieber die bequeme Variante.

Denkbar ist, dass künftig unser Alltag von Mikrotransaktionen begleitet wird, die unterhalb unserer Wahrnehmungsschwelle laufen. Indem beispielsweise ein digitaler Assistent automatisch einen kleinen Geldbetrag überweist, wenn eine Person mir etwas erklärt. So würden wir zwar auf einer sozialen Ebene immer noch die Beziehungsform der Ausgeglichenheit oder sogar des gemeinschaftlichen Teilens leben, im Hintergrund, quasi als Betriebssystem unserer Gesellschaft, würden Mikrohandlungen über Mikrotransaktionen abgerechnet. Wir geben Geld aus und verdienen, ohne es zu merken.

Lesen Sie mehr zur Zukunft der zivilgesellschaftlichen Partizipation in der GDI-Studie «Die neuen Freiwilligen».

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