Peacetalking oder die Kunst, Frieden herzustellen

Norwegen ist eine diplomatische Macht. Es vermittelt in internationalen Konflikten mit einer ganzen Abteilung des Aussenministeriums. Deren Leiterin Tone Allers erzählt, wie man Vertrauen zwischen Feinden schafft und warum es dafür Frauen braucht.
30 May, 2014 by
Peacetalking oder die Kunst, Frieden herzustellen
GDI Gottlieb Duttweiler Institute
Von Rico Grimm

Krieger sind irgendwann erschöpft von der Schlacht und wollen verhandeln. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie dann zum Telefon greifen und im norwegischen Oslo anrufen, dass sie dort um Hilfe bitten – man brauche einen sicheren Verhandlungsort, Prozessbegleitung, neutrale Beobachter – und dass ihr Anliegen irgendwann auf dem Schreibtisch von Tone Allers landet.

Allers ist die amtierende Chefin der Peace and Reconciliation Unit, einer vierzehnköpfigen Task-Force im norwegischen Aussenministerium, die vermittelt und Friedensgespräche ermöglicht – so sie darum gebeten wird. In den frühen 1990er-Jahren überraschte das kleine Norwegen die ganze Welt, als es nicht die bekannten Madrid-Verhandlungen waren, die zum vorläufigen Friedensschluss zwischen Palästinensern und Israelis führten, sondern informelle, diskrete Gespräche in Oslo. Seitdem hat das Land viele andere Verhandlungen begleitet und ist so zu einer kleinen, stillen Weltmacht geworden.

Frau Allers, warum steckt ein Land fast am nördlichen Ende der Welt so viel Energie in die Friedensförderung?
Weil wir es können: Wir haben die Mittel, wir wissen um unsere Verantwortung, also sollten wir auch helfen. Allerdings treibt uns natürlich nicht nur Altruismus an. Zwar liegt Norwegen abseits der globalen Konfliktherde, deren Auswirkungen bekommen wir aber auch zu spüren. Terrorismus bedroht uns, und jeden Tag erreichen Flüchtlinge aus Syrien und Somalia das Land. Es ist in unserem besten Interesse, wenn Frieden herrscht, auch in Ländern, die auf den ersten Blick sehr weit entfernt zu sein scheinen.

Die norwegische Aussenpolitik ist stilprägend. Politikwissenschaftler sprechen vom «norwegischen Modell». Was zeichnet ihre Politik aus?

Wir zögern etwas, es das «norwegische Modell» zu nennen, denn nicht alles, was wir machen, ist einzigartig. Die anderen skandinavischen Länder arbeiten in vielen Bereichen ähnlich wie wir. Aber natürlich gibt es ein paar Besonderheiten: Erstens kooperieren die norwegische Zivilgesellschaft und die Politik sehr eng. Nichtregierungsorganisationen haben sehr guten, einfachen Zugang zu den Politikern und Diplomaten, oft beraten sie uns bei unserer Arbeit, manchmal geben sie auch den Anstoss für ein Engagement. Ähnlich ist es mit den Wissenschaftlern. Es gibt über alle Ebenen hinweg viel Austausch, wir wollen möglichst viele miteinbeziehen; unsere Aussenpolitik soll nicht nur Sache der Eliten sein. Zweitens gibt es eine breite Unterstützung für unsere Friedensarbeit in der Bevölkerung. Sie erlaubt es uns, uns längerfristig zu binden und trotz Regierungswechseln ein verlässlicher Partner zu sein. Drittens ist es möglich oder sogar üblich für Mitarbeiter des Aussenministeriums, Erfahrungen von ausserhalb zu sammeln. Viele, die in dem einen Bereich gearbeitet haben, wechseln danach in einen anderen Bereich.

Gibt es da bekannte Beispiele?

Natürlich! Der frühere Aussenminister Jonas Gahr Støre war zuvor Generalsekretär des norwegischen Roten Kreuzes. Viele unserer Mitarbeiter haben vorher in NGOs gearbeitet oder als Berater für die Vereinten Nationen. Manche verlassen das Ministerium auch für eine Zeit lang, um für Organisationen wie zum Beispiel die Norwegische Volkshilfe oder den Norwegischen Flüchtlingsrat zu arbeiten.
Als Norwegen Anfang der 1990er-Jahre zwischen den Palästinensern und den Israelis vermittelte, galten Jassir Arafat und seine Gefolgsleute als Terroristen und kaum als satisfaktionsfähig. Die Farc-Rebellen stehen auf einer entsprechenden Anti-Terror-Liste der EU.

Gibt es Gruppen, mit denen Sie nicht sprechen würden?
Kaum, Teile von Al Kaida vielleicht. Allerdings würden die auch kaum mit uns sprechen wollen. Letztlich sind wir bereit, mit jedem zu reden, der willens ist, einen politischen Prozess zu beginnen.

Werden Sie denn häufig um Hilfe gebeten?
Ja.

Häufiger, als Sie helfen können?
Ja.

Wie entscheiden Sie dann, wo Sie eingreifen?

Wenn wir aufgefordert werden, einen Prozess zu begleiten und zu unterstützen, erreicht uns die Anfrage oft durch unsere Botschaften oder durch norwegische Zivilorganisationen, die schon lange vor Ort sind. Ob wir uns dann wirklich engagieren, hängt davon ab, ob wir erstens einen echten Beitrag leisten können, ob wir zweitens auch wirklich von allen Konfliktparteien erwünscht sind, und davon, ob wir drittens überhaupt die nötigen Beziehungen und die Expertise haben, um in diesem Konflikt zu vermitteln. Viertens dürfen wir uns nicht überdehnen, wir müssen darauf achten, was wir leisten können. Kolumbien ist wieder ein gutes Beispiel für diese Kriterien: Als wir uns damals entschlossen einzugreifen, waren norwegische Organisationen schon seit Jahrzehnten im Land, und jener Mann, der heute unser Sonderbeauftragter ist, hatte zuvor in der norwegischen Botschaft in Bogotá mit vielen, vielen Akteuren eng zusammengearbeitet.

Sie sagten, Sie würden mit jedem reden, der bereit ist, sich auf einen politischen Prozess einzulassen. Wann sind Kämpfende dazu bereit?

Oft wenden sich Feinde an eine dritte Partei, wenn sie merken, dass der militärische Kampf sie nicht vorangebracht hat. Aber natürlich gibt es auch noch andere Druckpunkte, an denen angesetzt werden kann. Generell ist es einfacher, Gruppen einzubeziehen, die politische Ziele haben – denn diese Gruppen sind zwingend auf einen politischen Prozess angewiesen, um diese Ziele zu erreichen. Allerdings braucht es oft viel Zeit, die Parteien zu überzeugen, dass ein politischer Prozess auch wirklich funktioniert – was wiederum zu der Situation führen kann, das die Feinde sich weiter bekriegen, während sie sich nach einer Verhandlungslösung umschauen wollen.

Das ist sehr eigenartig. Warum machen Sie einen Waffenstillstand nicht zur Bedingung für Gespräche?

Das ist nicht unsere Aufgabe als Prozessbegleiter, über so etwas müssen die Verhandler entscheiden. Sie sind es, die die Reihenfolge festlegen, und so kann sich auch die informelle Bedeutung von Vereinbarungen ändern. Ein Waffenstillstand kann da etwa zur vertrauensbildenden Massnahme werden, zum Beweis, dass beide Parteien in der Lage sind, ihre jeweiligen Truppen auch zu kontrollieren. Das war etwa der Fall in Myanmar.

Manchmal haben die Verhandlungspartner sich Jahrzehnte bekämpft, sie müssen sich ja hassen gelernt haben, in dieser Zeit. Wie nehmen Sie Druck aus den ersten Treffen?
Der Rahmen dieser Gespräche sollte möglichst informell sein. In Kolumbien half es beispielsweise, dass sich die beiden Seiten bei einer guten Mahlzeit trafen. Wir servierten damals norwegischen Lachs. Auf den Philippinen wird gerne Karaoke gesungen, was für die norwegische Schüchternheit eine kleine Herausforderung sein kann. In Myanmar war gar nichts dergleichen nötig: Dort trafen sich beide Seiten, und innerhalb kurzer Zeit lachten sie zusammen über Witze und gingen sehr vertraut miteinander um. Da gab es keinen Groll.

Wenn Sie Verhandlungen beginnen, legen Sie immer viel Wert darauf, Frauen miteinzubeziehen. Warum?
Frauen bilden die Hälfte der Bevölkerung, und es ist bewiesen, dass Friedensabkommen verlässlicher und nachhaltiger sind, wenn Sie die ganze Bevölkerung in den Prozess einbeziehen. Frauen können Themen vorbringen, von denen die Männer nichts wissen, weil sie nur auf dem Schlachtfeld waren, während die Frauen zu Hause die Felder bestellt und sich um die Kinder gekümmert haben. Frauen repräsentieren Schlüsselthemen, die nicht ignoriert werden dürfen: Bildung, Landfragen, lokale Verwaltung und Wirtschaft. Im Grunde ist das alles offensichtlich, was ich gerade gesagt habe. Frauen miteinzubeziehen, sollte daher selbstverständlich sein, aber oft sind es Männer, die den Krieg führen – und da braucht es spezielle Anstrengungen, um Frauen miteinzubeziehen.

Norwegen begann vor gut 25 Jahren, den Frieden in der Welt zu fördern. Dieses Engagement wurde eine der Säulen der norwegischen Aussenpolitik. Allerdings gibt es nur ziemlich wenige echte, grosse Friedensabkommen wie etwa das Oslo-Abkommen. Wenn Sie zurückblicken: Hat Norwegen einen guten Job gemacht?
Es ist selten, dass wir einen wirklich grossen Durchbruch erreichen. Wir können ja auch nur sehr wenig tun – ausser begleiten und unterstützen. Wir können niemanden zu etwas zwingen. Und wenn es doch Erfolge gibt, dann sind das nicht unsere Erfolge, sie gehören den Verhandlern – genauso wie die Fehlschläge.

Wie können wir uns das eigentlich vorstellen, wenn Sie zwei Parteien bei ihren Gesprächen unterstützen? Haben Sie, ähnlich wie Geheimdienste, «safe houses», die Sie zur Verfügung stellen können?
Nein, nein, solche Häuser haben wir nicht, aber wir versuchen natürlich trotzdem, einen netten, diskreten Ort zu finden, wo sich die Parteien treffen und austauschen können, wo sie auch mal zusammen essen können, wo keine Journalisten auftauchen. Dabei kann es sich um Hotels handeln oder auch um ganz normale Häuser.

Welche Eigenschaften braucht ein guter «facilitator»?
Ausdauer – und eine Langzeitperspektive. Sie müssen den Willen haben dabeizubleiben, Sie müssen an die Verhandlungen glauben, denn es wird immer Menschen geben, die versuchen, die Verhandlungen zu sabotieren. Sie sollten pragmatisch sein und nicht zu schnell den Mut verlieren – und Naivität und Träumerei helfen auch nicht weiter, denn diese Arbeit ist sehr harte Arbeit, auch wenn das manche Menschen nicht glauben. Sie müssen Ihre Hausaufgaben machen: lesen, Kontakte knüpfen, vorhandene Expertisen erschliessen. Zuletzt: Sie müssen sich sehr verschiedenen Umgebungen anpassen, mit kurzer Vorwarnung losreisen und bis tief in die Nacht verhandeln können, dafür braucht es ein helles Gemüt; Sie sollten sich immer auf die Sache konzentrieren, nicht auf die Probleme.

Dies ist ein Auszug eines Interviews aus der aktuellen Ausgabe von «GDI Impuls».
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