Es ist wieder Weihnachten, draussen wird es früher dunkel, die Innenstädte sind voll, und irgendwo wächst bei vielen dieses leise Gefühl, dass es jetzt langsam knapp wird. Nicht nur mit den Geschenken, sondern auch mit der Zeit. Genau deshalb taucht jedes Jahr wieder ein Last-Minute-Klassiker auf: Zeit verschenken. Ein Gutschein für einen gemeinsamen Ausflug, ein Abendessen, einen Nachmittag ohne Handy, einfach da sein. Menschen schenken immer öfter Zeit. In einer Umfrage in Österreich gaben 26 % der Menschen für 2025 an, gemeinsame Zeit verschenken zu wollen (1). In einer immer schneller werdenden Welt, in der gefühlt alle im Stress sind, wird Zeit zur wichtigsten Ressource. Genau das macht sie als Geschenk so attraktiv. Denn je weniger ich davon habe, desto wertvoller wirkt mein Präsent, wenn ich sie trotzdem gebe.
Gian-Luca Savino
Senior Researcher und Speaker am GDI
Der promovierte Informatiker analysiert globale Trends in den Bereichen Technologie und Umwelt sowie deren Auswirkungen für Unternehmen, Wirtschaft und Gesellschaft.
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So viel Zeit(verschwendung)
Schaut man sich an, womit wir unsere Tage im Durchschnitt füllen, dann ist das Bild ernüchternd. Ein grosser Block ist Bildschirmzeit, und dazu gehört nicht nur TikTok oder Netflix, sondern auch Arbeit am Computer, Mails, Meetings, alles, was sich heute durchs Display schiebt. Direkt danach kommt Zeit, die wir allein verbringen. Noch nimmt die Bildschirmzeit mit dem Alter tendenziell ab, was vermutlich aber damit zu tun hat, dass die Generation, die mit Smartphones gross geworden ist, noch nicht pensioniert wurde.
Spätestens seit der Corona Pandemie hat auch die Arbeitszeit eine neue Bedeutung bekommen. Es geht dabei weniger um die reine Menge, denn Wochenarbeitszeiten sind in der Schweiz langfristig eher rückläufig (2), sondern um eine Frage, die viel tiefer in den Alltag greift: Wo findet Arbeit statt, und wie fühlt sich Arbeitszeit an, wenn sie nicht mehr klar zwischen Büro und Zuhause getrennt ist? Die Auflösung dieser klaren Trennung bringt Vor- und Nachteile mit sich, über die viel diskutiert werden. Auf der einen Seite lassen sich Alltag und Arbeit für viele besser koordinieren und durch das Wegfallen des Arbeitsweges beispielsweise Arbeitszeiten effektiver nutzen. Auf der anderen Seite fehlt mitunter die gemeinsame Zeit, das kreative Zusammenarbeiten und das Unterstützen am Arbeitsplatz. Ungeachtet dessen: Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Future of Work Labs der Universität Konstanz zeigt eindeutig: Der «Wunsch nach Homeoffice ist ungebrochen hoch».
Die meisten Menschen wollen nicht entweder nur zuhause oder nur im Büro arbeiten. Der Standardwunsch ist hybrides Arbeiten. 75 Prozent bevorzugen eine Kombination aus mobiler und präsenter Arbeit. 19 Prozent möchten ausschliesslich im Homeoffice tätig sein. 6 Prozent würden am liebsten ausschliesslich im Büro arbeiten. (3)
Zurück ins Büro!
Gerade in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten setzen manche Unternehmen trotzdem wieder stärker auf Präsenzpflichten, oft mit der Hoffnung, Produktivität liesse sich so «zurückholen». Volkswagen wurde zuletzt als prominentes Beispiel diskutiert, weil dort nach einem Gewinneinbruch eine Präsenzregel an drei Tagen pro Woche eingeführt wurde. Ob solche Massnahmen Unternehmen tatsächlich produktiver machen, lässt sich aus den Konstanzer Daten nicht direkt ableiten, weil keine harten Leistungskennzahlen gemessen werden. Aber die Selbsteinschätzungen der Beschäftigten sind trotzdem aufschlussreich, weil sie zeigen, wie sich eine veränderte Präsenzkultur anfühlt und was sie mit Menschen macht.
In diesen Befragungen zeigt sich für 2025 ein interessantes Muster. Beschäftigte in Unternehmen mit flexiblen Arbeitsbedingungen berichten von einem durchschnittlichen Leistungsplus von rund fünf Prozent. Gleichzeitig ist die emotionale Erschöpfung in Unternehmen mit stärkerer Präsenzpflicht signifikant höher, auch wenn der Effekt etwas weniger ausgeprägt ist als im Vorjahr.
STRATEGIC FORESIGHT
In Zusammenarbeit mit Suva haben wir den GDI Major Shift «Zeit als neue Währung» auf die Realität der Kundin übertragen und daraus zentrale Implikationen für die Arbeitswelt abgeleitet. Dabei wurde deutlich, dass klassische Steuerungslogiken in vielen Bereichen an Bedeutung verlieren. Neu im Fokus ist das Vertrauen in die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden – verbunden mit der Frage, wie echte Ergebnisorientierung im Alltag funktioniert.
Auf dieser Basis haben wir mögliche Entwicklungen der Arbeitswelt skizziert: etwa klare Regeln für asynchrone Zusammenarbeit, flexible Arbeitsmodelle sowie eine Führung, die Vertrauen und Ergebnisorientierung aktiv vorlebt. Das HR-Team leitete daraus seine angestrebte Weiterentwicklung im Hinblick auf Rolle, Zusammenarbeit und Personalpolitik ab.
Mit der Backcasting-Methode planen wir nun vom definierten Zielbild aus die notwendigen Schritte zurück in die Gegenwart. So entstehen konkrete Massnahmenpakete für Führungsentwicklung und Arbeitsmodelle für die Strategie von Morgen.
Und während wir darüber diskutieren, wo wir arbeiten und wie viel Präsenz sinnvoll ist, passiert im Hintergrund etwas, das man leicht übersieht. Die durchschnittliche Arbeitszeit in der Schweiz ist in den letzten Jahrzehnten gesunken, im gleichen Zeitraum ist die Lebenserwartung gestiegen (4), und mit der aktuellen Longevity Forschung versuchen Menschen gerade, die gesunde Lebenszeit weiter zu verlängern.
Zeitersparnisse als Wettbewerbsvorteil
Auch KI soll uns künftig eine Menge Zeit sparen. Anthropic hat kürzlich eine Analyse veröffentlicht, die nahelegt, dass current generation AI models die Produktivitätsentwicklung in den USA rein rechnerisch um etwa 1,8 Prozent pro Jahr über das nächste Jahrzehnt steigern könnten (5), während gleichzeitig manche Tech CEOs das Ende der Arbeit ausrufen (6), als müssten wir bald gar nicht mehr arbeiten. Das klingt nach mehr Zeit, vielleicht sogar nach Zeit im Überfluss. Ob, wann und für wen diese Versprechen tatsächlich eintreffen, wird sich allerdings erst noch zeigen.
Denn die Menschheit hat schon immer danach gestrebt, effizienter zu werden. Mehr in der gleichen Zeit zu schaffen. Nur kommt danach zuverlässig die nächste Frage, oft leiser, fast unangenehm: Was machen wir dann mit der Zeit, die wir gewinnen? Im Moment muss man ehrlich sagen, ein grosser Teil fliesst als Aufmerksamkeit in Bildschirme, zur Freude vieler Werbetreibender, und nicht immer zu unserem Vorteil.
Haben wir also wirklich immer weniger Zeit, oder ist es nur die Art und Weise, wie wir damit umgehen? Eines ist sicher. Unsere Zeit ist wertvoll. Nicht nur für uns, auch für andere. Unsere Zeit in Form von Aufmerksamkeit ist für die Werbeindustrie bares Geld wert. Und wie Anfangs gezeigt, sind wir aktuell mehr bereit, diese Aufmerksamkeit freiwillig herzugeben, auch wenn es uns vielleicht oft nicht so deutlich klar ist. Die Feiertage sind sicherlich ein guter Moment, wieder einmal innezuhalten und sich zu überlegen, wem oder was meine seine Aufmerksamkeit schenkt und wie man die eigene Zeit im nächsten Jahr verbringen will.
- https://www.deloitte.com/at/de/about/press-room/2025/deloitte-christmas-survey-2025.html
- https://www.srf.ch/news/wirtschaft/alterung-und-arbeitsmarkt-der-fachkraeftemangel-wird-zum-allgemeinen-arbeitskraeftemangel
- https://www.polver.uni-konstanz.de/kunze/konstanzer-homeoffice-studie/
- https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/geburten-todesfaelle/lebenserwartung.html
- https://www.anthropic.com/research/estimating-productivity-gains
- https://fortune.com/2025/03/18/google-deepmind-ceo-demis-hassabis-agi-outsmart-human-workers-job-replacement-ai/