Was ist Strategic Foresight und wie unterscheidet sich das von klassischer Strategieberatung?
Susan Shaw: Strategic Foresight geht einen Schritt weiter. Wir bewegen uns in eine hypothetische Zukunft, in der es noch keine Zahlen, Daten und Fakten zum analysieren gibt. Wir verlassen die gängigen Prognosen und Excel-Tabellen und ergründen langfristige Entwicklungen und deren mögliche Implikationen. Wohin führen diese Entwicklungen? Was bedeutet das beispielsweise für die Kundschaft der Unternehmen und was müssen sie bereits heute tun, damit sie diese Bedürfnisse in Zukunft bedienen können?
Camille Zimmermann: Die klassische Strategieberatung basiert auf einer starken Innensicht und analysiert die aktuellen Assets eines Unternehmens, um auf dieser Basis eine mögliche Antwort zu präsentieren. Wir fokussieren uns viel stärker auf die Umfeldanalyse. Dabei führen wir unsere Kund*innen durch den Foresight Prozess und befähigen sie, die richtigen Fragen zu stellen.
Müssen sich Unternehmen beim Blick in die Zukunft von ihren Forecasts lösen?
Susan Shaw: Wir alle klammern uns grundsätzlich gerne an belegbare Daten, weil sie vermeintliche Sicherheit bieten. Das Problem ist, dass Zahlen und Fakten in der Gegenwart zwar einen hohen Nutzen haben, aber in der Zukunft an Wert verlieren. Insbesondere in Zeiten von steigenden Unsicherheiten. Foresight gewinnt dann an Relevanz, weil wir Möglichkeitsräume identifizieren und auf dieser Basis die Weichen für die Zukunft stellen.
Als Basis zur Erarbeitung der Möglichkeitsräume hat das GDI die Major Shifts entwickelt. Was zeichnet diese aus?
Susan Shaw: Im Gegensatz zu Trends zeigen die Major Shifts den Weg in die Zukunft statt eines isolierten Zustands an einem beliebigen Punkt in ein paar Jahren. Sie beschreiben faktenbasiert langfristige Entwicklungen und wo deren Wurzeln in der Vergangenheit liegen. Damit verstehen wir auch, was einen Shift ankurbelt oder ihn bremst.
Camille Zimmermann: Bei der Arbeit mit dem Framework vom GDI fällt sofort auf, dass es inspiriert, aber auch sehr klar ist. Wenn wir die Shifts in den Unternehmenskontext einbetten, ergeben sich direkt die richtigen Fragen und wir erreichen einen schnellen Transfer zu strategischen Implikationen. Ohne Buzzwords oder Hypes dafür unaufgeregt, belegbar und verständlich.
Wie funktioniert der Transfer von den Major Shifts hin zu strategischen Entscheiden?
Camille Zimmermann: Einer oder mehrere GDI Major Shifts bilden die Basis. Noch vor einer Bewertung nehmen wir auf der zweiten Ebene bereits die Unternehmensperspektive ein. In Zusammenarbeit mit dem GDI Research leiten wir aus den relevanten Shifts für das Unternehmen spezifische, hypothetische Implikationen ab und bewerten beispielsweise die Relevanz für das Unternehmen, das Chancen-Potential oder das Risiko von diesem möglichen Zustand. Aus dieser Zukunft denkend, stellen wir Fragen für das Unternehmen: Welche Effekte hat dies für das Unternehmen? Für deren Dienstleistungen oder Produkte? Für deren Kund*innen? So erkennen wir neue Chancenfelder und schaffen eine Basis für strategische Entscheide in der Gegenwart.
Ein Beispiel?
Susan Shaw: Die Infrastrukturalisierung von KI ist ein Shift, der derzeit viele Unternehmen beschäftigt. Insbesondere grosse Verwaltungen mit vielen administrativen Aufgaben fragen sich, was es bedeutet, wenn die künstliche Intelligenz einst so natürlich in unseren Alltag eingebettet ist, wie wir es von Strom oder Wasser kennen. Eine Implikation aus dem Shift ist für solche Organisationen beispielsweise ein Bürokratieabbau. Als Effekt könnte sich das Rollenverständnis des Unternehmens komplett verändern. Kapazitäten würden frei und könnten neu eingesetzt werden.
Woran erkennen Unternehmen, dass sie Foresight benötigen?
Susan Shaw: Die aktuellen Zahlen sind oft ein gutes Indiz. Wenn der Marktanteil schwindet, Verkaufszahlen sinken oder neue Konkurrenten die Kundenbedürfnisse gezielter adressieren. Oftmals gerät das etablierte Geschäft durch eine neue Technologie oder eine Wertverschiebung bei der Zielgruppe unter Druck.
Camille Zimmermann: Investitionen in die Zukunft lohnen sich meist, bevor die Luft allzu dünn ist. Etwa, wenn man eine Marktsättigung erreicht hat. Den einen richtigen Zeitpunkt gibt es aber kaum. Befindet sich das Unternehmen in einer zu bequemen Situation, fehlt vielleicht der Mut für einen Wandel und ist es bereits im Überlebensmodus fehlen meist die Mittel. Meine Erfahrung aus dem Lean Management zeigt, dass Unternehmen neue Ansätze dann einführen sollten, wenn sie sich im hektischen Arbeitsalltag befinden. Nur so kann ein neuer Prozess – und genau das ist Strategic Foresight – nachhaltig etabliert werden.
Was ist deine Rolle im Foresight-Prozess?
Camille Zimmermann: Wir pilotieren den Prozess für unsere Kund*innen mit den geeigneten Methoden und Workshops. Dabei arbeiten wir eng mit dem Projektteam des Unternehmens zusammen, indem auch sie sich Gedanken über mögliche Shifts machen. Unsere Aufgabe ist es, die Aussenperspektive einzunehmen und das Eigenbild zu challengen. Wir agieren also nicht als klassische Berater, welche Antworten präsentieren, sondern sind Enabler und begleiten die Unternehmen bei der Entscheidungsfindung.
Ist das die neue Art der Wissensvermittlung?
Susan Shaw: Absolut. Wir leben in einer Zeit mit einem unglaublich schnellen und umfassenden Zugang zu Wissen. Unsere Kund*innen suchen vermehrt nach Orientierung, Fokus, Priorisierung und klaren Entscheidungshilfen. Genau hier setzen wir an. Fundiertes Wissen bildet nach wie vor die Basis. Wir übersetzen dieses individuell für die Unternehmen und machen es so strategisch nutzbar.
Was wünscht ihr euch von euren Kund*innen?
Beide: Engagierte Stakeholder, die keine Angst haben, mutige Möglichkeitsräume durchzudenken. Auch wenn diese nicht direkt in die Strategie einfliessen, stecken sie den Rahmen ab und bringen oft mehr Klarheit und verstärken den Fokus.
«Ich mag gedankliche Dehnübungen»
Susan Shaw ist Head of Strategic Foresight. Bei der Ergründung hypothetischer Räume und gedanklichen Dehnübungen blüht sie auf. Mit Ihren Kund*innen spürt sie die relevanten Entwicklungen auf, überlegt wo sie hinführen und vor was für neue Anforderungen dies die Unternehmen stellt. Dabei greift Susan Shaw auf ihre langjährige Erfahrung in der Analyse des Konsumverhaltens und der Interaktion von Menschen mit Marken, Produkten und Dienstleistungen zurück.
«Ich mache Kritiker zu Fans»
Camille Zimmermann ist Senior Expert Strategic Foresight. Er ist überzeugt, dass der nachhaltigste Wert seiner Arbeit in den Köpfen seiner Kund*innen passiert. Wenn sie neue Denkmuster annehmen und offen sind, in Möglichkeitsräumen zu denken, hat er auch die kritischsten Stimmen zu Fans gemacht. Dafür verfügt Camille Zimmermann über umfangreiche Erfahrung in den Bereichen Strategic Foresight, Trendmanagement, Innovation und Change-Management.