GDI: Frau Janik, alle Medien sind seit Monaten voll von ChatGPT. Liegt das eher daran, dass dieses Mal eine neue Technologie die Medienleute selbst betrifft, oder wird hier wirklich gerade die Gesellschaft revolutioniert?
Marianne Janik: Die Neugier ist riesig, auch weil viele Menschen seit November damit experimentieren, dies veröffentlichen und teilen. Innerhalb von 5 Tagen hatte ChatGPT eine Million Nutzer, zwei Monate nach dem Start waren es im Januar schon 100 Millionen. So rasant ist zuvor noch kein Online-Service gewachsen. Die neuen KI-Sprachmodelle schreiben Artikel, Essays, Briefe und Reden. Allein das ist für die Medien ein Grund sich mit den neuen Möglichkeiten zu beschäftigen. Aber die Auswirkungen sind viel weitreichender. KI wird mit all ihren Fähigkeiten Einzug in unseren privaten und beruflichen Alltag halten.
Auch wenn man selbst gar nichts mit Essays oder Reden zu tun hat?
Auch dann. Künstliche Intelligenz reduziert die Komplexität von Aufgaben, kann Daten in grossen Mengen, in unterschiedlichen Formaten und aus vielen Quellen analysieren und für ihre menschlichen Partner aufbereiten, nutzbar und verständlich machen. Wir werden von lästigen Routinearbeiten entlastet und können Aufgaben und Prozesse effizienter erledigen und damit knappe personelle Kapazitäten sinnvoller nutzen. Das wird vieles verändern!
Sie selbst setzen voll auf diese Technologie: ChatGPT wurde in die Microsoft-Suchmaschine Bing integriert, eine Integration in das Office-Paket wird folgen. Welche Rolle soll Künstliche Intelligenz bei Microsoft spielen?
Bei Microsoft entwickeln wir seit vielen Jahren KI-Lösungen. Bereits heute finden sich KI-Elemente in fast allen unseren Services. Denken Sie beispielsweise an die Vorlesefunktion «Narrator» für Bildschirminhalte oder die Live-Untertitel und Übersetzungsfunktion für Microsoft Teams. Jetzt integrieren wir KI in Lösungen wie Bing, Microsoft 365, Dynamics 365 und unsere Security-Produkte. Das wird eine Welle von Produktivitätsschüben durch leistungsstarke Copiloten auslösen. Hinzu kommt: Schon wenige Monate nach Launch der neuen KI-Modelle entwickeln mehr als 1.000 Microsoft-Kunden und Partner weltweit eigene KI-Anwendungen und Dienste. Sie tun dies mit KI-Modellen wie ChatGPT (Text/ Sprache), Codex (Programmiercode) und DALL-E (Bilder), die über unseren Azure OpenAI Service bereitgestellt werden. Generative KI kann Entwicklungsprozesse um Wochen oder sogar Monate verkürzen. Generative KI kann beispielsweise Programmiercode schreiben – und das auch über natürliche Spracheingabe. In einer Zeit, wo viele Unternehmen und Behörden händeringend Entwickler und Programmiererinnen suchen, ist das eine Riesenchance.
Und wo sehen Sie im Handel kurz- und mittelfristig Einsatzmöglichkeit für KI? Soll KI unsere Einkaufszettel schreiben? Die Lagerhaltung organisieren? Das Management coachen? Die Preise aushandeln?
Alle diese Fragen lassen sich prinzipiell mit «Ja» beantworten. Allerdings: Die Bewertung, was KI für uns tun «sollte» und was in der Praxis Sinn ergibt, treffen weiterhin der Handel und die Akzeptanz der Kunden – kurz die Intelligenz der Menschen. Wir sehen aktuell viele Anwendungsfälle im Omnichannel, am Point of Sales und im Kundenservice.
Zum Beispiel?
Ein typischer Use-Case ist in der Kundenbetreuung die Hyper-Personalisierung durch zeitnahe Zusammenfassung von Kundenanfragen, eine erleichterte Suche und automatisierte Kommunikationsvorschläge. Auch Chatbots ermöglichen dank Generativer KI ein vollkommen neues Niveau im Kundenservice. Mit Copiloten in der Supply Chain werden kostspielige Probleme frühzeitig erkannt. In Dynamics 365 bieten wir beispielsweise ein KI-gestütztes Nachrichtenmodul, das proaktiv auf externe Veränderungen beim Wetter, Finanzen und geographische Entwicklungen hinweist. Gleichzeitig kann der Copilot kontextbezogene E-Mails in Outlook vorbereiten, um Massnahmen zu ergreifen und betroffene Partner zu warnen, um potenzielle Störungen zu mindern, bevor sie eintreten. Ein anderes Beispiel sind KI-generierte Produktbeschreibungen für Online-Stores, wo diese Informationen millionenfach fehlen.
Über welche Zeiträume reden wir bei einem Rollout von KI im Handel? Über Jahrzehnte, wie bei der Einführung von Scannerkassen – oder über Wochen, wie beim Update einer bereits eingesetzten Software?
Aktuell testen über tausend Unternehmen die Copiloten für die klassische Anwendungssoftware in Microsoft 365. Bereits heute gibt es den GitHub Copilot für das KI-gestützte Programmieren. Solche Services und Funktionen sind dann über die Cloud sofort verfügbar. Mitarbeitende im Marketing geben beispielsweise eine Abfrage zur Datenanalyse an den Marketing-Copilot in Dynamics 365 in eigenen Worten ein. Sie erhalten dann unmittelbar eine verständlich aufbereite Auswertung mit weiterführenden Ergebnissen zur Segmentanalyse und zur Vorbereitung einer Kampagne. Das bedeutet eine enorme Effizienzsteigerung für das Marketing wie für IT- und Datenanalysten. Natürlich gibt es Projekte, die mehr Zeit beanspruchen. Aber wir sollten uns nicht täuschen: Die Leistungsfähigkeit der KI-Modelle wächst exponentiell und das beschleunigt ihre Nutzung. Deshalb ist Abwarten kein guter Ratgeber im Wettbewerb. Die Beschäftigung mit den Möglichkeiten von KI gehört in die Chefetage und darf keine Spezialdisziplin von IT-Expertinnen bleiben.
So wie wir heute über ChatGPT reden, haben wir letztes Jahr über das Metaverse geredet – und vor zwei Jahren über Blockchain. Worüber reden wir nächstes Jahr?
Ich hoffe, wir sprechen dann besonders über die täglichen persönlichen Erfahrungen, die wir mit unseren Copiloten im Alltag machen, aber auch über die Folgen und Erfolge für die jeweilige Unternehmensstrategie. Also weniger ein Reden über KI, als viele konkrete Projekte, Erfahrungen und Business Cases im Umgang mit ihr.
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