Cory Doctorow: Enshittification oder warum Plattformen nutzlos wurden

Von revolutionär zu nutzlos: Cory Doctorow sieht eine zunehmende «Enshittification» im Internet. Einst geliebte Dienste bringen kaum noch Mehrwert. Warum das nicht nur frustrierend, sondern auch beängstigend ist und wie es überhaupt soweit kommen konnte.
4 November, 2025 durch
Cory Doctorow: Enshittification oder warum Plattformen nutzlos wurden
GDI Gottlieb Duttweiler Institute

Wann haben Sie auf Facebook zuletzt Fotos von Ihren engsten Freunden gesehen? Und der wievielte Link in der Google-Suche zeigte Ihnen, wonach Sie wirklich gesucht haben? Cory Doctorow, Autor, Tech-Aktivist und Journalist, ist überzeugt, dass viele Onlineplattformen zu einem «useless pile of shit» verkommen. Dafür hat er bereits 2022 den Begriff «Enshittification» eingeführt und beschreibt darin, wie anfänglich nützliche Plattformen und Dienste in drei Phasen unbrauchbar werden.

Cory Doctorow Photo by Anna Olthoff

Live am Europäischen Trendtag
Cory Doctorow spricht am 25. März am GDI Trendtag in Rüschlikon. In seinem neuesten Buch «Enshittification» beschreibt er das Gefühl, dass mit dem Internet etwas schief läuft, und zeigt, wie man den Fokus zurück auf Offenheit und Nutzerkontrolle legt. 

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Der Enshittification-Zyklus
  • Phase 1: Zu Beginn steht der Mehrwert der Nutzer*innen im Zentrum einer neuen Software, Plattform oder Dienstleistung. So lieferte die Google-Suche ursprünglich sehr gute Resultate und indexierte die unzähligen Webseiten in einer nützlichen Linkliste. Ähnlich war auch Facebook anfänglich ein Ort, um sich mit Freund*innen zu vernetzen und auch über weite Distanz in Kontakt zu bleiben. In dieser ersten Phase sind die Plattformen effizient und erfüllen genau unsere Anforderungen. Als Resultat schnellt die Anzahl Nutzer*innen in die Höhe und bindet diese an den Dienst – bis es kaum noch eine Alternative gibt. Haben wir doch unser Netzwerk auf Facebook sorgfältig aufgebaut oder sogar die Ferienbilder immer greifbar in Alben sortiert. Damit ist der Weg geebnet für den nächsten Schritt.
  • Phase 2: Nutzer*innen werden zu Gunsten von Firmenkunden ausgenutzt. Um die Plattform zu monetarisieren, verkaufen Betreiber Nutzerdaten oder zeigen Inhalte von Werbetreibenden gegen Bezahlung prominenter an. So wurde der Facebook-Feed von zahlenden Ads überflutet und auf Google finden sich zuerst die bezahlten Webseiten vor den vielleicht sogar relevanteren organischen Inhalten. 
  • Phase 3: Sind auch die Unternehmenskunden erfolgreich an die Plattform gebunden, weil sie dort ihre Zielgruppe erreichen oder durch diese überhaupt gefunden werden, ist die Enshittification in der Endphase angekommen. Gemäss Doctorow werden jetzt auch die Firmenkunden ausgebeutet, indem die Betreiber und deren Aktionäre versuchen, so viel Profit wie möglich für sich zu behalten. Kosten für Werbeplatzierungen steigen massiv an, während sich der Dienst für die Nutzer*innen oft deutlich verschlechtert. 
Verdrängte Konkurrenz und mangelnde Regulierung

Doctorow bestätigt, dass der Weg aus der Enshittification auf individueller Basis schwierig ist. Ein Beispiel dafür ist Whatsapp: Auf einen besser verschlüsselten Messenger umsteigen funktioniert nur, wenn der eigene Freundeskreis ebenfalls zum gleichen Anbieter wechselt, da sonst ein gängiger Kommunikationskanal wegfällt. Und wer schon einmal einen Restaurantbesuch oder Kinoabend geplant hat, weiss wie anstrengend eine Konsensfindung in einer Gruppe sein kann. Zudem verdrängen die Plattformen bewusst ihre Konkurrenz oder gestalten einen Wechsel möglichst unattraktiv, was Doctorow anschaulich am Beispiel von Amazon aufzeigt. Durch die relativ hohe Marktmacht und ungleiche Rahmenbedingungen bei der Produktanzeige von Drittanbietern im Vergleich zu den eigenen Produkten hat der ehemalige Online-Buchhändler viele kleinere Anbieter komplett aus dem Markt gedrängt. Zudem sind beispielsweise Hörbücher oder E-Books so geschützt, dass sie nur innerhalb der Amazon-Apps funktionieren. Damit geht ein Wechsel zu einem anderen Anbieter auch mit dem Verlust von bereits bezahlten Inhalten einher.

Für Doctorow ist das Problem der Enshittification primär systemischer Natur. Man habe den Betreibern zu lange zu viel Macht gegeben. Ein gesundes Konkurrenzumfeld sowie klare Vorschriften könnten es Plattformen wieder erschweren, die eigenen Nutzer sowie Geschäftskundinnen auszubeuten.

Reclaiming Focus am Europäischen Trendtag

Was Cory Doctorow beschreibt, erleben wir alle: ein Internet, das Aufmerksamkeit verschlingt und Orientierung erschwert. Wie wir in dieser neuen Realität Fokus und Wirkung zurückgewinnen, steht im Zentrum des Europäischen Trendtags 2026 am GDI – der führenden Konferenz zu Zukunftsfragen von Wirtschaft und Gesellschaft.

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