Alte Möbel, frischer Schwung

Vintage-Möbel boomen – getrieben von gesellschaftlichem Wandel, einem stärkeren Nachhaltigkeitsbewusstsein und dem wachsenden Interesse an der Kreislaufwirtschaft. Welche Herausforderungen bringt das für die Möbelbranche? Und wie können Konsument*innen noch bewusster auswählen? Antworten liefert Gianluca Scheidegger im Interview mit dem Schweizerischen Hauseigentümer.
21 Oktober, 2024 durch
Alte Möbel, frischer Schwung
GDI Gottlieb Duttweiler Institute

Der Schweizerische Hauseigentümer: Vintage-Möbel liegen im Trend. Welche gesellschaftlichen und ökologischen Faktoren haben dazu beigetragen?

Gianluca Scheidegger: Der Trend zu Vintage-Möbeln wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Vorab muss jedoch gesagt werden, dass es sich dabei um kein komplett neuartiges Phänomen handelt. Seit Längerem richtet nur eine Minderheit ihr Zuhause komplett mit neu gekauften Möbeln ein. Bereits vor zehn Jahren betrug dieser Anteil lediglich 12 Prozent. In der jüngsten Zeit sind es vor allem das wachsende Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Preise, der Wunsch nach Individualität und einzigartigem Design, ein gut funktionierender Secondhand-Markt sowie Lieferengpässe, die diesen Trend weiter vorangetrieben haben.

Viele Menschen in der Schweiz möchten bereits produzierte, funktionsfähige Produkte länger nutzen oder beschädigte Gegenstände reparieren lassen, anstatt sich neue Produkte zu kaufen. Das schont zum einen ihr eigenes Portemonnaie und zum anderen die Umwelt. Das Bedürfnis, sich von der Massenproduktion abzuheben und den eigenen vier Wänden einen persönlichen Touch zu verleihen, spielt in vielen Haushalten ebenfalls eine wichtige Rolle. Insbesondere seit der Corona-Pandemie, als man sich vermehrt zu Hause aufgehalten hat und dies teilweise noch immer tut – beispielsweise durch vermehrtes Arbeiten im Homeoffice.

Hinzu kommt: Heute ist es so einfach wie nie, gebrauchte Möbel zu kaufen und zu verkaufen. Wo man früher noch diverse Brockis, Flohmärkte oder Antiquitätenhändler nach dem passenden Möbelstück durchforsten musste, findet man heute online eine schier endlose Auswahl an Vintage-Möbeln. Tendenz steigend: Fand man z. B. im August 2014 auf tutti.ch, einer beliebten Wiederverkaufsplattform, noch 20 000 Möbelinserate, sind es heute, zehn Jahre später, 173 000. Ein Anstieg von 765 %!

Konsumenten sind ungeduldig. Entsteht ein Bedürfnis, wollen sie es direkt gedeckt haben. So auch beim Möbelkauf. Jüngste Störungen in globalen Lieferketten haben vielerorts zu sehr langen Lieferzeiten beim Kauf von Möbeln geführt, und dies ist teilweise noch immer der Fall. Dieser Umstand hat viele Käuferinnen und Käufer dazu bewegt, auf Secondhand-Märkten einzukaufen. Dort sind die Möbel sofort verfügbar.

Sind Vintage-Möbel ein vorübergehender Hype – oder werden sie sich langfristig etablieren?

Aufgrund der vielen verschiedenen Faktoren, die die Beliebtheit von Vintage-Möbeln begünstigen, gehe ich davon aus, dass es sich um keinen kurzfristigen Hype handelt. Zum Problem werden kann in Zukunft jedoch die abnehmende Verfügbarkeit von Vintage-Möbeln. Fast schon als Gegentrend nehmen in den vergangenen Jahren auch die Verkäufe sehr günstig produzierter Möbel zu. Sogenanntes «Fast Interior» eignet sich durch die schlechte Qualität fast nicht für den Wiederverkauf. Das meiste landet nach ein paar Jahren bereits wieder auf dem Müll: Siedlungsabfälle pro Kopf und Jahr sind in der Schweiz von 525 kg (im Jahr 1985) auf 704 kg (im Jahr 2020) angestiegen. Alte Möbel, Einrichtungsgegenstände und Matratzen fliessen in diese Statistik mit ein. Die USA, die Abfälle aus Möbeln und Einrichtungsgegenständen separat aufführen, zeigen eine Vervielfachung der Möbelabfälle im Siedlungsabfall zwischen 1960 (total 2 150 000 kg) und 2018 (12 080 000 kg).

Welche Rolle spielt das Nachhaltigkeitsbewusstsein bei Leuten, die Vintage-Möbel kaufen?

Für Konsumentinnen und Konsumenten mit hohem Nachhaltigkeitsbewusstsein bieten Vintage-Möbel eine attraktive Alternative zum Neukauf. Erstens entfällt die Notwendigkeit, ein neues Möbelstück zu produzieren, was Ressourcen schont. Zweitens sind minderwertige Produkte meist aus Materialien hergestellt, die belastender sind für die Umwelt als natürliche Materialien. So werden in Spanplatten, verglichen mit Massivholz, teilweise Bindemittel verwendet, die umweltschädlich sind. Drittens sind Vintage-Möbel in der Regel langlebiger als massenproduzierte Stücke. Etwa 20 Jahre muss sich ein Möbelstück nämlich bewährt haben, um als «Vintage» zu gelten. Gemäss Nachhaltigkeitsexperten wurden die meisten Möbel, die derzeit auf Müllhalden landen, in den letzten 10 bis 15 Jahren hergestellt und haben somit gar nie erst den Status «Vintage» erreicht.

Lesen Sie das ganze Interview auf der Seite des Schweizerischen Hauseigentümers.

Dr. Gianluca Scheidegger ist Senior Researcher und Speaker am Gottlieb Duttweiler Institut. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler analysiert gesellschaftliche, wirtschaftliche und technologische Veränderungen mit den Schwerpunkten Handel und Konsumverhalten.

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