Vom Selfie zum digitalen Double

In Zukunft werden Selfies, angereichert mit immer mehr Daten, weit mehr als ein Abbild eines äusseren Zustands sein. Algorithmen werden uns dadurch schon bald besser lesen können, als jede Psychiaterin.
22 June, 2018 by
Vom Selfie zum digitalen Double
GDI Gottlieb Duttweiler Institute

Dieser Text ist ein Auszug aus der GDI-Studie «Wellness 2030 –  Die neuen Techniken des Glücks». Die Studie ist als kostenloser PDF-Download erhältlich.

Wir leben heute in einer Selfie-Kultur. Tom Wolfe ernannte die 70er Jahre zur «Me-Decade» in den USA. Seither gibt es diverse Untersuchungen, in denen eine individualistische, narzisstische und egoistische Kulturentwicklung der westlichen Welt festgestellt wird. Mit den Smartphones ist das Selbstportrait zur dominanten Mitteilungsform geworden: 93 % der Facebook-User posten heute regelmässig Selbstportraits, die für Selbstmarketing-Zwecke benutzt werden. Wir sind, wie wir uns online präsentieren.

In Zukunft kommen aber zu diesen äusserlichen Portraits neue Daten hinzu. Sie dokumentieren Aspekte unseres Lebens, die heute nur selten auf dem Radarschirm der Algorithmen auftauchen. Wearables sammeln schon seit einigen Jahren Daten über Herzfrequenz, gelaufene Kilometer und Kalorienverbrauch. Ganz besonders interessiert sich die Wellness-Industrie für Daten, die Hinweise auf unser Wohlbefinden geben. Je mehr Daten aus unterschiedlichen Quellen, desto schärfer und facettenreicher wird unser digitales Double. Wir werden von Maschinen lesbar. Unser Handeln lässt sich analysieren und vorhersagen. Für die Algorithmen sind wir zum offenen Buch geworden. Kein Psychiater kann ein so genaues Bild von unserem Wesen zeichnen wie diese Technik.

Selbst unsere Emotionen werden die Algorithmen in Echtzeit interpretieren können. Zwar ist 2018 die Entwicklung noch am Anfang, doch der «proof of principle» ist längst erbracht. Technik kann aus den Daten, die sie über einen User hat, Informationen über seine momentane Gefühlslage herausfiltern. Der technische Mechanismus, der dahintersteckt, ist einfach. Jede emotionale Regung macht sich physiologisch bemerkbar und lässt sich so messen. Wie genau sich Gefühlsregungen körperlich niederschlagen, haben finnische Wissenschaftler bei Menschen aus unterschiedlichen Kulturen erforscht. Sie befragten 700 Studienteilnehmer in Finnland, Schweden und Taiwan: Welche Reaktionen rufen Emotionen wie Glück, Traurigkeit, Scham, Ekel, Neid, Angst oder Liebe hervor? Für jedes Gefühl sollten die Teilnehmer auf einer computergenerierten menschlichen Silhouette zeigen, wo und wie sich ihre Empfindung veränderte.

Ergebnis: Wenn sie wütend waren, empfanden sie Gesicht, Kopf und Arme als heiss. Wenn sie depressiv waren, wurden Kopf und Arme von einer kalten Taubheit erfasst. Liebe löste ein gutes Gefühl im gesamten Oberkörper aus. Vor allem ums Herz herum wurde es den Probanden warm (siehe Bild oben). Die Studie konnte nachweisen, dass Emotionen Veränderungen im Körperempfinden hervorrufen. Und zwar über alle Kulturen hinweg auf gleiche Art und Weise. Auf Basis ihrer Befragung zeichneten die Wissenschaftler «Körperkarten», die zeigen, wo sich welche Reaktionen im Körper wie bemerkbar machen.
 

Die Studie «Wellness 2030 – Die neuen Techniken des Glücks» steht Ihnen als kostenloser Download zur Verfügung.

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