Jakub Samochowiec: «In der Pandemie kann ein starker Staat von Vorteil sein»

Im Interview mit dem «Migros-Magazin» erläutert GDI-Forscher Jakub Samochowiec die vier Szenarien der Studie «Entsolidarisiert die Smartwatch?». Ist das Anhäufen dieser Datenmengen logische Konsequenz der Digitalisierung oder doch eine Gefahr für die Gesellschaft? Und welche Rolle spielt Corona darin?
2 February, 2022 by
Jakub Samochowiec: «In der Pandemie kann ein starker Staat von Vorteil sein»
GDI Gottlieb Duttweiler Institute

Der nachfolgende Text besteht aus Ausschnitten eines Interviews des «Migros-Magazin» mit GDI-Forscher Jakub Samochowiec, welches am 31. Januar 2022 erschien. Zum vollständigen Interview.

Das Smartphone in der Hosentasche misst die tägliche Zahl Schritte, die Smartwatch am Handgelenk registriert Herzfrequenz, Blutdruck und Schlafrhythmus. Man erfasst selbst vielleicht den Menstruationszyklus, welche Medikamente man wann und in welcher Dosis zu sich nimmt, führt Buch über seine Essgewohnheiten.

Aus solchen Puzzleteilen ergibt sich ein grosses Bild, das Rückschlüsse auf Lebensstil und Verhalten zulässt und aus dem allfällige Gesundheitsrisiken herauszulesen sind. Ist das eine Verheissung der Digitalisierung oder doch eine Gefahr für die Gesellschaft? Mit dem Berg an digitalen Daten lässt sich vieles anstellen, je nachdem, wer auf ihn zugreifen kann. Mit diesen Fragen beschäftigt sich die GDI-Studie «Entsolidarisiert die Smartwatch?» von Jakub Samochowiec und stellt vier Szenarien auf:

Big GovernmentBig BusinessBig SelfBig Community

Migros-Magazin: Jakub Samochowiec, wenn man die Skizze der vier Szenarien liest, hört man bereits die Aufschreie …

Jakub Samochowiec: Weil sie als Extreme beschrieben werden. Und jedes Extrem hat in seiner Ausprägung etwas Totalitäres. Wir versuchen, die Extreme auszuloten, um den Raum für Diskussionen möglichst weit zu öffnen.

Dient es denn der Diskussion, wenn die Beispiele abschrecken?

Das ist eine Frage, die wir uns ebenfalls gestellt haben. Es ist ein Risiko, das wir in Kauf nehmen. Denn die formulierten Extreme zeigen auch etwas anderes: Die technische Entwicklung stellt nicht einfach eine Alternativlosigkeit dar. Die Frage ist vielmehr, wie wir als Gesellschaft mit diesen Daten umgehen und sie nutzen.

Nehmen wir Big Government mit der Datenhoheit beim Staat. Ein Szenario, das sich sehr gut in der Aktualität verankern lässt …

… das aber seit jeher verhandelt wird. Ist ein schlanker oder ein starker Staat besser? Man pendelt da immer ein bisschen hin und her. Gerade jetzt in der Pandemie zeigt sich, dass ein starker Staat durchaus von Vorteil sein kann, wenn es darum geht, schnell zu reagieren.

Aber je länger die Pandemie dauert, desto mehr wird der starke Staat infrage gestellt.

Das ist eine sehr schweizerische Perspektive. Einige Länder mit weniger Todesfällen haben einen starken, kontrollierenden Staat. Ich glaube aber auch, dass Big Government schnell an Grenzen stösst. Der Staat kann unser Leben nicht bis ins letzte Detail steuern. Selbst wenn er wollte. Etwas kommt erschwerend hinzu: Ein Staat verspielt schnell Vertrauen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Zu Beginn der Pandemie wurde gesagt, Masken würden wenig bringen. Der Grund: Es gab schlicht zu wenige. Gilt später eine Maskenpflicht, ist klar, dass die Glaubwürdigkeit leidet.

Was hat uns die Pandemie betreffend Digitalisierung gelehrt?

Ich finde zum Beispiel die Sache mit dem Homeoffice spannend. Es hat sich gezeigt, dass weniger Kontrolle nötig ist, als viele Leute gedacht haben. Es funktioniert ganz gut, dass Leute zu Hause arbeiten, ohne dass zahlreiche technische Kontrolltools nötig sind. Die Pandemie hat vielleicht gewisse Annahmen über die Menschen infrage gestellt.

Das spricht dafür, dass Menschen für sich Verantwortung übernehmen und sich solidarisch verhalten. Aber stimmt das? Macht uns zum Beispiel die Smartwatch nicht unsolidarisch?

Ich gebe zu, die Pandemie scheint die Solidarität wiederum infrage zu stellen. Immerhin wurde ja die Forderung nach einer Impfpflicht laut. Informationskampagnen, die an die Selbstverantwortung appellieren, geraten irgendwann an ihre Grenzen. Nehmen wir das Rauchverbot: Die meisten Menschen sind froh, dass Rauchen im Restaurant schlicht verboten wurde und es nicht bei Appellen an die Eigenverantwortung blieb.

Das vollständige Interview können Sie hier lesen.

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