Digitale Gefühle: Warum wir heute mehr Empathie und weniger Scham empfinden
Ein Tischgespräch mit Professor Ute Frevert
«Gefühle haben eine Geschichte», sagt Ute Frevert. Frevert muss es wissen, sie ist Direktorin des Forschungsbereiches «Geschichte der Gefühle» am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Angst, Freude, Zorn, Liebe – unterschiedliche Gefühle erhielten im Laufe der Geschichte unterschiedliche Bedeutungen, so die Historikerin. Eine bestimmte Zeit – zum Beispiel die heutige – spiegle sich darin, welche Bedeutung die Gesellschaft einem Gefühl zumesse.
Prominente Gefühle seien heute Mitgefühl und Mitleid. Dies im Gegensatz etwa zu Scham und Ehre, die in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten an Relevanz eingebüsst hätten, wie Frevert in ihrem neuen Buch «Vergängliche Gefühle» erklärt.
Wenn der Abstieg der Scham und der Aufstieg des Mitgefühls charakteristisch sind für unsere digitalisierte Zeit, was sagt das über die Auswirkungen der Technologisierung aus? Macht uns die Technologie etwa unverkrampfter, emotionaler? Das würde gerade Skeptiker überraschen, gemäss denen die Allgegenwart des Internets und der damit verbundenen Geräte uns doch zu abgestumpften Roboterwesen machen, die vor lauter Bildschirmen die Welt nicht mehr sehen. Ist die Emotionalisierung in neuen Medien nur eine Reihe von Likes, oberflächlich und kurzlebig?
Ute Frevert beantwortet diese und andere Fragen am GDI. Sie erklärt, warum und wie das Mitgefühl zum zentralen Gefühl der Gegenwart geworden ist. Und zeigt, was das für unser Leben, Arbeiten und Denken bedeutet.