Wie Fabris Peruško einen südosteuropäischen Handelsgiganten rettete

Fabris Peruško leitete die Neukonsolidierung des südosteuropäischen Handelsgiganten Fortenova Group. In einem Interview mit dem GDI spricht Peruško über diesen grossen Erfolg seines Teams und darüber, wie das Unternehmen im Flow-Commerce konkurrieren will.
10 August, 2022 durch
Wie Fabris Peruško einen südosteuropäischen Handelsgiganten rettete
GDI Gottlieb Duttweiler Institute

GDI: Die Fortenova-Gruppe ist ein Riese in der südosteuropäischen Einzelhandelswelt, und doch ist sie im Rest des Kontinents relativ unbekannt. Was sagt Ihnen das?

Fabris Peruško: Unsere Bedeutung und unser Einfluss auf die Volkswirtschaften der Region sind vielfältig. Dies umso mehr als sich die Gruppe von einem Unternehmen, das vor fünf Jahren noch eines der grössten Probleme der Region und ein grosser Verursacher von Illiquidität war, zu einem sicheren Arbeitgeber und Grossinvestor entwickelt hat, der heute einen bedeutenden Beitrag zum Wachstum seiner Märkte leistet. Unter der Annahme, dass wir ausreichend gut, finanziell stabil, innovativ, agil und produktiv sind, haben wir alle Möglichkeiten, in Mittel- und Osteuropa breiter einzutreten – sei es durch klassische Exporte oder durch Zusammenschlüsse und Aufkäufe. Ausserdem wird die Fortenova Group jetzt, da Kroatien der Eurozone beitritt, mehr als 80 % seiner Einnahmen in Euro erzielen.

Wenn Sie Ihre Märkte mit anderen wie Deutschland oder dem Vereinigten Königreich vergleichen, wo sehen Sie die grössten Unterschiede?

Deutschland und Grossbritannien sind grosse, entwickelte Märkte mit einem Schwerpunkt auf vollständiger Spezialisierung. In den Märkten Mittel- und Osteuropas, wo es lokale Spitzenmarken und kleinere Marktvolumina gibt, ist unser Geschäftsmodell mit Lebensmittelproduktion und Einzelhandel in einer integrierten Lieferkette wettbewerbsfähiger. Dies verschafft uns einen Vorteil gegenüber internationalen Marken.
Andererseits trägt unsere Region immer noch die Last des Übergangs und des Krieges. Zwei Länder sind EU-Mitglieder, Slowenien gehört bereits der Eurozone an, und Kroatien ist dabei, seine vollständige Integration in die EU abzuschliessen – während sich die anderen Länder der Region in verschiedenen Stadien ihrer Beitrittsverhandlungen befinden.
Nichtsdestotrotz unterscheiden uns die Verbindungen zwischen den lokalen Partnern und die Konzentration auf lokale Zulieferer – welche die Fortenova-Gruppe stark unterstützt –, von den weiter entwickelten Märkten; teilweise auch aufgrund ihrer gemeinsamen Geschichte und langjährigen gegenseitigen Beziehungen. Dies hat sich insbesondere während der Pandemie als wichtig erwiesen, als lokale Lieferanten und kurze Lieferketten bedeutende Faktoren für die Aufrechterhaltung der Versorgung waren. Abgesehen davon bietet die Region im Gegensatz zu den entwickelten Märkten noch Raum für die Konsolidierung vieler Unternehmen, und die Fortenova-Gruppe verfügt über ein erhebliches Konsolidierungspotenzial.

Sie haben einen beeindruckenden Turnaround geschafft, für den Sie auch ausgezeichnet wurden. Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse?

Man muss die Umstrukturierung von Agrokor in Relation setzen: Es handelte sich um ein aussergewöhnlich grosses Unternehmen in einem kleinen Land – Kroatien hat nur vier Millionen Einwohner, von denen etwa 30’000 bei Agrokor beschäftigt waren, weitere 30’000 in der Region. Der geschätzte Anteil des Unternehmens am kroatischen BIP lag bei etwa zwei Prozent.
Es handelte sich also um ein systemrelevantes Unternehmen für Kroatien. Ein Unternehmen mit der gleichen Systemrelevanz in Deutschland würde mehr als 300’000 Menschen beschäftigen. Ein Konkurs von Agrokor wäre vergleichbar gewesen mit dem Konkurs von zwei VW oder von fünf Toyota Motors in Japan.
Ein ähnlich grosser Fall ereignete sich in Italien mit Parmalat im Jahr 2003, das mit 14 Mrd. Euro Schulden in Konkurs ging, während Agrokor in Kroatien fast 8 Mrd. Euro Schulden hatte. Der Konkurs von Agrokor hätte den potenziellen Verlust von bis zu 60’000 Arbeitsplätzen in Kroatien und der Region bedeutet, mit direkten Auswirkungen auf rund 2300 Lieferanten unserer Einzelhandelskette Konzum.
All dies wäre in Ländern geschehen, die gerade erst begonnen hatten, die lang anhaltende Rezession von 2008/2009 zu überwinden, und die, gemessen an einigen wichtigen Wirtschaftsparametern, doch schwächer waren als andere. Vor diesem Hintergrund war die Umstrukturierung von Agrokor eines jener Projekte, die über die nationalen und regionalen Grenzen hinausgehen.
Die wichtigste Erkenntnis aus diesem Prozess ist, dass die Einigung mit den Gläubigern und die erfolgreiche finanzielle Umstrukturierung niemals möglich gewesen wären ohne die Unterstützung und die enormen Anstrengungen einer grossen Zahl von Menschen und Institutionen.

Das Thema der kommenden Internationalen Handelstagung ist «Flow Commerce», also der nahtlose On- und Offline-Handel. Wie bauen Sie eine solche Welt in der Fortenova-Gruppe auf?

Die Fortenova-Gruppe ist die stärkste regionale Einzelhandelskette, sowohl mit ihren mehr als 2500 Geschäften als auch im Online-Segment. Wir planen, regionaler Marktführer bei Einzelhandel, Getränken, Ölproduktion und Fleischverarbeitung zu bleiben, indem wir unser Geschäftsmodell durch Innovation in drei wichtigen Teilbereichen verbessern: digitale Transformation, Innovation in der Lebensmittelproduktion sowie Integration von Umwelt-, sozialen und Governance-Faktoren (ESG) in unser Geschäftsmodell. Dadurch erhalten wir die Kapitalstruktur innerhalb der Gruppe. Im Hinblick auf die digitale Transformation liegt unsere Priorität auf dem Wandel von «data rich» zu «data driven». Fortschrittliche Analysen auf der Grundlage von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen sollen uns helfen, datenbasierte Entscheidungen zu treffen, das Kundenerlebnis persönlicher zu gestalten und unsere tägliche Arbeit effizienter zu machen.
Der zweite Schwerpunktbereich ist die vollständige Digitalisierung des Vertriebs von Produkten an den Endkunden. Wir machen derzeit grosse Fortschritte bei der weiteren Verbesserung des E-Commerce und bei der Einführung digitaler Dienstleistungen, die es schliesslich ermöglichen werden, beispielsweise verschiedene Abläufe in den Geschäften zu automatisieren und die menschliche Arbeit auf Aufgaben mit Mehrwert zu lenken.

Peruško ist Referent an der 72. Internationalen Handelstagung, die vom 8. bis 9. September 2022 am Gottlieb Duttweiler Institut stattfindet. ExpertInnen aus Handel, Forschung und der Start-Up-Szene referieren und diskutieren zum Thema Flow Commerce: How Shifting Boundaries Reshape Retail.

Über die Fortenova-Gruppe:
Die Fortenova-Gruppe ist mit ihren Geschäftsaktivitäten in der Lebensmittelproduktion und im Einzelhandel direkt in sechs Schlüsselmärkten Südosteuropas tätig. Das Unternehmen vertreibt über 4000 Produkte und bietet zahlreiche Dienstleistungen in all seinen Märkten an. Die Gruppe beschäftigt über 45’000 Mitarbeiter, verfügt über 29 Produktionsstätten und mehr als 2500 Verkaufsstellen und Vertriebszentren in sechs Ländern.
Das Fortenova-Gruppe entstand nach dem Konkurs von Agrokor im Jahr 2017. Erst heute ist das Unternehmen aber bereit, sich auf anderen Märkten zu etablieren – dies nachdem es in den vergangenen vier Jahren mehrere Schritte unternommen hat: die Gläubigerverhandlungen über den Vergleichsplan; der Rechtsschutz in den USA, Grossbritannien, der Schweiz und der EU; die Refinanzierung der Schulden; und die Überprüfung der Kapitalstruktur. Hinzu kamen die Bewältigung der Covid-Pandemie, der Erdbeben in Kroatien und nicht zuletzt der Risiken durch den Krieg in der Ukraine.
Die Eigentums-, Kredit- und Kapitalstruktur der Gruppe hat sich heute im Vergleich zum Zeitpunkt der Gründung verändert, und ihr Wert ist gestiegen. Im Jahr 2022 wird das Unternehmen einen Umsatz von über 5 Milliarden Euro erwirtschaften und damit der grösste private Arbeitgeber in der Region sein. Heute erwirtschaftet die Fortenova-Gruppe fast 1 % des BIP der Region, was ihre Stärke, ihre Grösse und ihren Einfluss auf die Wirtschaft deutlich macht.

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