Was den Menschen in der Schweiz für ein erfülltes Leben wichtig ist

Die Lebensprioritäten in der Schweiz verschieben sich, so die Autor*innen der GDI-Studie «Unbundling the Family». Spass im Job, persönliche Unabhängigkeit und andere Lebensziele werden heute zunehmend höher gewichtet als die Gründung einer Familie.
18 August, 2024 durch
Was den Menschen in der Schweiz für ein erfülltes Leben wichtig ist
GDI Gottlieb Duttweiler Institute
 

Der folgende Text basiert auf einem Auszug aus der GDI-Studie «Unbundling the Family – Schweizer Familien zwischen Tradition und Transformation», die Sie kostenfrei herunterladen können.


Über alle Zeiten und Kulturen hinweg war Fortpflanzung ein wesentlicher Grund, eine Familie zu gründen. Kinder zu bekommen und grosszuziehen, gehört zu den grundlegenden Bedürfnissen vieler Menschen. Doch seit 1950 gehen die Geburtenraten zurück. Die Rolle der Familie als zentrale gesellschaftliche Institution scheint an Bedeutung zu verlieren.

Einen kontinuierlichen Rückgang der Geburtenraten verzeichnen fast alle Industriestaaten. Sogar in den skandinavischen Vorzeigeländern wie Finnland. Auch in der Schweiz ist die Geburtenrate von 2,1 im Jahr 1970 auf 1,4 Kinder pro Frau in 2022 gesunken. Dieser Trend weist auf eine Verschiebung in den Lebensprioritäten hin. Spass im Job, persönliche Unabhängigkeit und andere Lebensziele werden heute zunehmend höher gewichtet als die Gründung einer Familie. War Kinderkriegen in vielen Gesellschaften zuvor ein Eckpfeiler des Erwachsenwerdens, kommt es nun meist erst dann, wenn schon viele andere Ziele erreicht wurden.

Der veränderte Stellenwert von Ehe und Kindern lässt sich auch in unserer Befragung der Schweizer Bevölkerung erkennen. Einen Job zu haben, der Spass macht, ist der wichtigste Faktor für die Befragten (86 %). Fast ebenso wichtig sind eine glückliche Beziehung und gute Freundschaften. Erst an vierter Stelle landen Kinder mit immerhin 65 %. Verheiratet zu sein, schafft es mit 37 % vor der erfolgreichen Karriere auf den vorletzten Platz.

Lieber unabhängig als in der klassischen Familie gebunden

Dabei bekommen die Menschen nicht nur weniger Kinder. Eine wachsende Zahl entscheidet sich ganz gegen Nachwuchs. Laut einer Befragung von 2021 in den USA wollen 44 % der kinderlosen Erwachsenen zwischen 18 und 49 auch kinderlos bleiben. Das sind 7 % mehr als drei Jahre zuvor. 

Der Effekt verstärkt sich über die Generationen hinweg: Durch die abnehmende Zahl von Verwandten in den schrumpfenden Familien verschärft sich die Situation. Die Aussicht, im Alltag mit Kindern von Verwandten unterstützt zu werden, nimmt ab. Hatte eine 65-jährige Frau im Jahr 1950 noch 41 Verwandte, wird eine gleichaltrige Frau im Jahr 2095 nur noch 25 Verwandte haben. Das ist ein weltweiter Rückgang von 38 %. Zudem werden die Familiennetzwerke, selbst wo es sie noch gibt, beträchtlich altern. 

Wachsende Individualisierung

Ein weiterer gesellschaftlicher Trend, der das klassische Familienbild in Bedrängnis bringt, ist die Individualisierung. Menschen streben zunehmend nach persönlicher Freiheit und Selbstverwirklichung. Oft führt das zu einer Abkehr von konventionellen Lebenswegen. Sie entscheiden sich gegen Heirat und Familiengründung. Wurde in den Sechzigerjahren noch rund jede zehnte Ehe in Deutschland geschieden, war es zum Jahrhundertwechsel mehr als jede zweite.

Dies spiegelt auch der stark zunehmende Anteil von Einpersonenhaushalten. Während in der Schweiz die Zahl der Haushalte von Familien mit Kindern relativ gleichbleibend ist, haben sich Einpersonenhaushalte von 1970 bis 2021 verdreifacht. Auch die Zahl der Einpersonenhaushalte mit Kindern ist gestiegen, sie hat sich verdoppelt. Das weist auf eine tiefgreifende Veränderung in der Lebensweise vieler Menschen hin. Nach Schätzungen der OECD werden im Jahr 2030 nur noch in 30 % der Haushalte Kinder leben.

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