Dank Maschinen nur noch fünfzehn Stunden pro Woche arbeiten. So stellte sich vor fast hundert Jahren der britische Ökonom John Maynard Keynes unsere heutige Welt vor. Seither wurde, wie von Keynes antizipiert, sehr viel automatisiert. Der Überfluss an Freizeit blieb jedoch aus, ebenso die befürchtete Arbeitslosigkeit. Mehr noch: Es herrscht Arbeitskräftemangel. Was ist also passiert?
Die Vorstellung, aufgrund von Maschinen weniger arbeiten zu können und damit auch dem Arbeitskräftemangel beizukommen, basiert auf Annahmen, die nicht zwingend zutreffen.
Effizienz, Löhne und Leistung
So führt erstens Effizienzsteigerung nicht zwingend zu Einsparungen. Technologie erlaubt zwar effizientere Prozesse. Bereits im neunzehnten Jahrhundert beobachtete der Ökonom William Jevons jedoch, dass effizientere Dampfmaschinen nicht zu weniger, sondern zu mehr Kohleverbrauch führten. Dieser sogenannte Rebound-Effekt zeigt sich auch in der Arbeitswelt. E-Mails erlauben enorm effizientes Kommunizieren. Die allermeisten Beschäftigten wurden deshalb aber nicht entlastet. Sie lesen und schreiben einfach viel mehr Nachrichten als je zuvor.
In einem für unsere Studie «Strategien im Umgang mit dem Arbeitskräftemangel» durchgeführten Interview berichtete ein Mitarbeiter eines Produktionsbetriebes, dass eine neue Verpackungsmaschine ihren Arbeitskräfteengpass nicht entlastet habe. Der Effizienzgewinn sei stattdessen mit mehr unterschiedlichen Packungsgrössen kompensiert worden.
Ob unternehmerisch sinnvoll oder nicht – Effizienzsteigerungen scheinen häufig mehr Output zur Folge zu haben und keine Einsparung. In einer für unsere Studie durchgeführten Umfrage meinten dementsprechend 40 Prozent der 280 befragten Führungskräfte, dass bisherige Automatisierungseinsparungen bei ihnen vollständig durch Leistungsausweitung kompensiert worden seien. Weitere 30 Prozent waren teilweise dieser Meinung.
Ein zweiter Punkt betrifft den Zusammenhang zwischen den Löhnen und dem technischen Fortschritt. Natürlich wurden manche Jobs automatisiert – etwa in der Landwirtschaft. Doch wo gehen freie Arbeitskräfte hin? Setzt der Markt genügend Anreize, die nötigsten Arbeiten zu erledigen? Die Literatur gibt Hinweise darauf, dass Jobs mit höheren Löhnen mehr negative Externalitäten, also mehr gesellschaftliche Folgekosten, verursachen. Bei schlecht bezahlten Jobs ist es umgekehrt. Aber auch unabhängig von Externalitäten: In einer von uns durchgeführten Umfrage mit tausend Schweizer Angestellten ist nur eine Minderheit davon überzeugt, dass diejenigen in ihrem Betrieb, die mehr verdienen, auch mehr zum Unternehmenserfolg beitragen.
In einem Artikel im «Harvard Business Review» aus dem Jahr 2016 wurde geschätzt, dass die amerikanische Wirtschaft mit der Hälfte der Managementpositionen auskommen könnte. Auch etwa 40 Prozent der von uns befragten Angestellten denken, dass sie mit weniger Führungskräften besser arbeiten würden. Vermutlich auch, weil sich deren Zahl, wie wir in der Studie zeigen, in den letzten dreissig Jahren verdreifacht hat. Dennoch sind Führungskräfte die am besten verdienende Berufsgruppe der Schweiz, während die Anreize für manche «systemrelevante» Jobs trotz Personalmangel deutlich geringer ausfallen.
Wettrüsten im Dienstleistungssektor
Drittens schliesslich stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang von Leistung und Wertschöpfung. Einige Arbeiten im Dienstleistungsbereich generieren nicht direkt Werte, sondern verteilen bestehende Vermögenswerte neu. Werbetreibende konkurrieren um limitierte Konsumausgaben, Wissenschafter um beschränkte Fördermittel, Anwältinnen um Schuld- oder Freisprüche. Wenn der zu verteilende Kuchen nicht wächst, neutralisiert sich der Aufwand von Konkurrenten gegenseitig.
Der britische Ökonom Lord Adair Turner spricht von einer Nullsummenwirtschaft. Die Einführung von technologischen Hilfsmitteln ist dann vergleichbar mit Hightech-Schuhen, welche einem Fussballteam nicht erlauben, auf Spieler zu verzichten. Denn die Konkurrenz nutzt die gleichen Tools, und das (Nullsummen-)Spiel geht auf einem höheren Niveau weiter. Es findet ein Wettrüsten im Dienstleistungssektor statt, das ab einem gewissen Punkt keinen gesellschaftlichen Mehrwert mehr generiert.
Es ist ein soziales Dilemma: Aus individueller Perspektive mag die Teilnahme am Wettrüsten eine notwendige Investition und eine sinnstiftende Arbeit darstellen. Aus gesellschaftlicher Perspektive sind solche Nullsummenarbeiten ein unendlich grosses Auffangbecken für technologische Produktivitätsgewinne, und sie binden Ressourcen, die andernorts nötiger wären. Vielleicht sind sie auch mit ein Grund, weshalb sich die digitale Revolution bisher kaum in volkswirtschaftlicher Produktivität niedergeschlagen hat (siehe Solows Paradox).
Letztlich kann somit der Arbeitskräftemangel als Allokationsproblem beschrieben werden: Führt 1) Effizienzsteigerung nicht automatisch zu Leistungsausweitung, setzt 2) der Markt die Anreize ungenügend und werden 3) Ressourcen in unproduktivem Umverteilen und Wettrüsten gebunden, haben wir nicht zu wenig Arbeitskräfte – wir setzen sie nur falsch ein. In diesem Fall wird es zumindest sehr ineffizient, das Problem einfach mit mehr Maschinen (aber auch Menschen) lösen zu wollen.
SPEAKER*IN BUCHEN
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