«Wenn man dabei ist, merkt man fast nie, dass man Zeuge eines Ereignisses ist, das den Lauf der Geschichte verändert», schrieb dieser Tage der serbisch-amerikanische Ökonom Branko Milanovic. Er vermutet, dass mit dem Beginn der zweiten Amtszeit von Donald Trump gerade ein solches Ereignis beginnt: das Ende des globalen Neoliberalismus. «Niemand weiss, auch Trump selbst nicht, wohin sein Ideen-Mix die USA, den Westen und die Welt führen wird. Erst in einigen Jahren werden wir die Logik dieser Entwicklung erkennen.»
Es ist also wieder Wendezeit, eine jener Situationen, in denen wirklich alles und das Gegenteil passieren kann. Dieses «Schaukeln der Dinge» (Mathias Greffrath) eröffnet damit auch einmalige Chancen für Neuanfang und Innovation. Ein Blick auf vergangene Zeitenwenden kann dabei helfen, diese Einmaligkeit zu erfassen und sich in ihr zu positionieren.
Derart «Zurück in die Zukunft» blickte Karin Frick, die langjährige Forschungsleiterin des GDI, aus Anlass ihres Abschieds. 1986 war sie ans GDI gekommen, und von Beginn an von der Offenheit begeistert: Als Redaktorin der Zeitschrift «GDI Impuls» konnte und durfte sie sich für alles interessieren, und genau das tat sie auch: «Die Möglichkeit, immer wieder ganz am Anfang von neuen Entwicklungen dabei zu sein, wenn alles neu, unbekannt, aufregend und kommerziell noch uninteressant ist, ist absolut einzigartig.»
Damit war sie auch voll dabei, als es Anfang der 1990er Jahre zu einer globalen Zeitenwende kam. Der Zusammenbruch des Kommunismus führte einerseits zu Unsicherheiten, aber genauso auch zu grossen Spielräumen: «Damals war mega-viel offen und möglich – und das nicht nur am GDI. Wir haben lediglich diese Möglichkeiten so weit ausgeschöpft, wie es ging.»
Neue Technologien tauchten am Horizont auf, Mikrochip, Mobilfunk, Internet, aber was aus ihnen werden würde, blieb noch lange vage. Das eröffnete Möglichkeitsräume.
Das GDI machte daraus unter anderem:
- eine Fake-Ausgrabung im Rüschliker «Park im Grüene»: Im Juni 1993, während einer Tagung am GDI zu «Erlebnisqualität», trat direkt daneben ein angebliches Team von Archäologen auf den Plan und begann mit einer Ausgrabung auf dem Parkgelände. Im Gespräch mit den Tagungsbesuchern sagte «Grabungsleiter Schmidt», man habe ein Grab aus der Etruskerzeit gefunden. Dabei war es nur eine Künstlergruppe aus Berlin, die so demonstrierte, wie faszinierend eine gut inszenierte Geschichte sein kann.
- die Aufstellung eines elektronischen Beichtstuhls: Die Tabuzone der Religion wurde im März 1994 bei einer GDI-Veranstaltung über Marketing als «Gottesdienst am Kunden» betreten. Die «Automatic Confession Machine» des kanadischen Forschers Greg Garvey sollte zeigen, wie stark die Technik in unser Leben eingedrungen ist; Karin Frick wurde von ihr 911 Ave Marias als Sühne auferlegt.
- Veranstaltungen über Techno- und Boykott-Kultur: Im Frühjahr 1995 tobte auf der Ölplattform «Brent Spar» der Streit zwischen Shell und Greenpeace, am GDI gab es zeitgleich ein Mind-Management-Seminar für «panische Strategien», im Herbst 1995 lud man sogar zu einer «Boykott»-Konferenz. Bereits im Vorjahr hatte das GDI «Energy-Survival-Kits» ausgegeben – für eine Techno-Kult-Veranstaltung im Zürcher Hallenstadion.
Das GDI wurde in dieser Zeit zu einem Spielplatz der «Creative Class» – zu einer Zeit, als es diesen Begriff noch gar nicht gab. Der US-Ökonom Richard Florida verwendete ihn erstmals 2002 und beschrieb damit einen jener Trends, die sich aus der Epochenwende des vorangegangenen Jahrzehnts ergeben hatten.
Das, was die kreative Klasse auszeichnet, nennt man heute «woke», und es ist einer der Kandidaten für den Niedergang in der gerade begonnenen Epochenwende. Die neue Zwischenzeit wird also anders offen sein als die letzte – aber auch dabei werden neue Spielräume und -plätze entstehen.
Denn wieder gibt es neue Technologien: Diesmal heissen sie Künstliche Intelligenz, darin stecken wir gerade, und Biotechnologie, deren Zeitalter noch bevorsteht. Und wieder gibt es einen Umbruch in Politik und Gesellschaft: Die Kettensägen, die dabei am Werk sind, werden so viel Kleinholz produzieren, dass auf den gerodeten Lichtungen wundersame Pflanzen emporwachsen können, die im intakten Wald niemals genug Luft und Licht bekommen hätten.
Und wo könnten dadurch neue Spielräume entstehen? Im Kleinen und im ganz Grossen, meint Karin Frick. Auf der einen Seite stehen «soziale Innovationen, mit denen wir selbst entscheiden können, ob wir in Richtung Himmel oder Hölle gehen» – da geht es unter anderem um die Revitalisierung von ganz alten Konzepten wie Familie, Freundschaft oder Gemeinsinn. Und auf der anderen Seite die «Herausforderungen, die Technologie uns stellt, aber auch lösen lässt»: Demokratisierung von KI, Multi Stakeholder Negotiations, Circular Society. Und für das, was die neue Leitwissenschaft Biologie ermöglichen wird, fehlen uns zum grossen Teil noch die Begriffe.
Für Frick bleibt der technische Fortschritt dabei auch weiterhin eher Teil der Lösung als des Problems: «Technologien naturalisieren sich über die Zeit», sagt sie. «Elektrizität ist Technologie, Kochen mit Herdplatte und Backofen ist Technologie, Kleider aus Kunstfasern sind Technologie. Aber wir nehmen diese Dinge als ganz alltäglich wahr, sobald sie nicht mehr brandneu sind. So gesehen gibt es nicht immer mehr Technologie, es ist eher ein steter Wandel.» Und, ganz dem Leitspruch des GDI entsprechend, bleibt dabei immer der Mensch im Mittelpunkt: «Was er nicht nutzt, etabliert sich nicht.»
«Es war ein sehr grosses Privileg, dass ich so viele Jahre am GDI arbeiten konnte», resümiert Karin Frick, «mit so vielen Freiheiten neue Themen zu erkunden und zu setzen». Die Freiheit und die Themen werden ihr und uns auch in Zukunft nicht ausgehen. Wir danken Karin Frick herzlich für ihre aussergewöhnliche Arbeit und ihr Engagement.