Bildung im KI-Zeitalter – Was uns zu lernen bleibt

Maschinen lernen mehr und schneller und bald auch besser als Menschen. Was bleibt uns Menschen da übrig? Der führende Lern-Wissenschaftler Manu Kapur gibt auf dem Europäischen Trendtag eine Antwort.
8 Januar, 2025 durch
Bildung im KI-Zeitalter – Was uns zu lernen bleibt
GDI Gottlieb Duttweiler Institute

Es hat sich ausgetrichtert. Bald 400 Jahre nachdem uns erstmals etwas eingetrichtert wurde, wird nun der Siegeszug der Künstlichen Intelligenz neue Lernmethoden nicht nur möglich machen, sondern geradezu erzwingen. Davon ist Manu Kapur überzeugt. Er ist Direktor des Singapore-ETH Centers und Professor an der ETH Zürich, wo er die Future Learning Initiative leitet. Und die Zukunft des Lernens ist auch Thema seines Vortrags auf dem 21. Europäischen Trendtag des GDI am 12. März 2025.

Das 1647 in Nürnberg erschienene Buch «Poetischer Trichter» wollte die Dichtkunst lehr- und lernbar machen. Bis heute steht der Begriff «Nürnberger Trichter» für eine Methode, die Lernende mit grossen Mengen Wissen füttert. Für Menschen war diese Methode immer umstritten: Die Menge des Lernstoffs übersetzt sich nicht direkt in die entsprechende Menge an Lernerfolg. Im KI-Zeitalter jedoch dürfte sie vollends obsolet werden: Das Trichtern passt viel besser zu Computern als zu Menschen. «Machine Learning» besteht schliesslich vor allem im Füttern der KI mit grossen, grossen Datenmengen.

Wenn wir beim bisherigen Lernmodell bleiben, werden wir also gegen die Computer verlieren – sie können sich ungleich grössere Datenmengen aneignen, und sie vergessen nichts. Wir werden anders lernen müssen, wenn wir uns behaupten wollen. Zum Beispiel, indem wir die Lernrichtung umdrehen. Nicht: «Erst Lernen, dann Anwenden», sondern genau umgekehrt.

So funktioniert eine von Kapur an der ETH Zürich getestete Methode: Bei einer Basis-Veranstaltung über Lineare Algebra wurden über zwei Semester verteilt insgesamt zehn Probleme gestellt, für deren Lösung Lernstoff benötigt wurde, der noch gar nicht behandelt worden war. Eine erst einmal merkwürdig klingende Methode, aber mit frappierendem Ergebnis – hatten zuvor lediglich 55 Prozent der Studierenden den Kurs in Linearer Algebra bestanden, lag die Erfolgsquote nun bei 70 bis 75 Prozent! 
Als zentrale Erfolgsfaktoren hierbei nennt Lernwissenschaftler Kapur die Anschauung und das Scheitern: Anschauung, weil so schon vorab deutlich wird, wofür man den nächsten Lernstoff überhaupt braucht – und Scheitern, weil es in der menschlichen Entwicklung der weit stärkere Lernanreiz ist als Erfolg. 

Manu Kapur ist Direktor des Singapore-ETH Centers und Professor an der ETH Zürich, wo er die Future Learning Initiative leitet. Seine Arbeit verbindet Forschung, Politik und Praxis, um wirkungsvolle Lerninnovationen voranzutreiben.

Geschützte Räume für produktives Scheitern 

Entscheidend sei dabei, dass das Scheitern nicht als Niederlage empfunden werde, sondern als Lernschritt, als Erfahrung. Kapur spricht deshalb von Productive Failure, produktivem Scheitern, das von Schulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen regelrecht designt werden könne. Geschützte Räume für produktives Scheitern ermöglichen es, den Lernerfolg zu maximieren und die Frustration gering zu halten. 

Eine der grössten Herausforderungen stellt das für die Lehrenden dar. Denn sie müssen, sagt Kapur, ein Stück weit gegen ihre eigene Intuition agieren: «Als Lehrende verspüren wir einen starken Drang zu helfen, um es den Lernenden leicht zu machen. Ich denke, guter Unterricht findet statt, wenn man diesen Drang zumindest unter Kontrolle hat. Das Ziel muss es sein, den Lernenden zu helfen, auf ihrem Weg Fortschritte zu machen.» Und das könne eben manchmal bedeuten, es schwerer zu machen: «Frustration und Schwierigkeiten sind etwas völlig Normales. Wenn man davon in der Schule nichts spürt, bedeutet das wahrscheinlich, dass man nicht lernt.»

Seien Sie beim nächsten Europäischen Trendtag zum Thema «Highway to Heaven? How AI Transforms Society and Work» dabei und diskutieren Sie mit Manu Kapur und anderen Visionären über die Zukunft der Arbeit und die Chancen einer Post-Work-Society. Wir versprechen einen Tag voller Inspiration und Austausch mit rund 250 Entscheidungsträger*innen.

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