Aus der Sicht der Anthropologin betrachtet, warum diskutieren wir am GDI-Trendtag über den «Kult des Sozialen»?
Die Wissenschaft ist seit einiger Zeit daran, die Bedeutung von sozialen Beziehungen in unserem Leben wieder zu entdecken. Für uns Sozialwissenschafter ist diese Bedeutung einigermassen offensichtlich. Wir glauben, dass ein Individuum aus den Beziehungen besteht, die es zu andern unterhält. Neu ist aber auch für uns, dass die Technologie den Menschen dabei hilft, diese Beziehungen anders zu definieren: Zum Beispiel indem sie diese Verbindungen sichtbar macht oder indem sie persönliche Beziehungen an Orte bringt, von denen sie zuvor verbannt waren. Oder auch, in dem die Technologie es den Leuten vereinfacht Institutionen herauszufordern.
Warum hat sich sich der Trend in Richtung Social überhaupt entwickelt?
Technologien wie jene hinter den Social Networks haben unser Netz an Beziehungen extrem sichtbar gemacht. Sie haben sozusagen unsere Verbindungsstränge zur Gesellschaft materialisiert. Die Entdeckung, wie stark wir da eingebunden sind, hat bei einigen von uns für grosse Begeisterung gesorgt. Sie erlaubt es nämlich, dass wir diese Beziehungen auf in neuer Weise nutzen.
Beziehungen, heisst es nun, werden zu einer neuen Art Währung, wir reden vom «Beziehungskapital».
Ökonomen haben ja nie geglaubt, dass Menschen sich gerne sozial verhalten einfach um des Sozialen willen. Sie suchen immer nach dem rationalen Motiv hinter zwischenmenschlichen Handlungen. Die Idee, dass sich das Soziale auch wirtschaftlich lohnen könnte, ist daher ein Versuch der Ökonomen, wirtschaftliche Deutungsmuster wiedereinzuführen, wenn es darum geht, unsere sozialen Beziehungen zu erklären.
Aber was bedeutet denn «Beziehungskapital» nun genau?
Dieses Wort lehnt sich an den alten soziologischen Begriff des «sozialen Kapitals». Der bezieht sich auf den Gewinn, den wir daraus ziehen, Teil einer sozialen Gruppe oder Gemeinschaft zu sein und miteinander zu arbeiten. Beim «Beziehungskapital» gilt nun zu beachten, dass der Austausch in sozialen Netzwerken oft gar nicht fassbar ist. Er lässt sich auch nicht immer in konkrete Gewinne ummünzen. Stattdessen können wir in der neuen virtuellen Sozialität beobachten, wie Individuen subtile Kommunikationsstrategien anwenden, die ihren Austausch und ihre Zugehörigkeit beeinflussen.
Teilen wird in «social» Zeiten immer wichtiger. Gibt es Grenzen des Sharing?
Teilen ist die Wurzel all unserer sozialen Aktivitäten. Wenn wir nicht unser Wissen teilen würden, unsere Absichten und Ziele, dann hätten wir kein gegenseitiges Verständnis, keine gemeinsame Sprache und keine Kultur. Teilen ist der Normalfall, darum ist es viel interessanter zu analysieren, was wir nicht teilen und stattdessen kaufen oder handeln müssen.
Was bedeutet das für Marken?
Es bedeutet wahrscheinlich, dass man zuerst etwas teilen muss, wenn man es verkaufen will.
Was rät die Sozialwissenschafterin dem Händler für den Erfolg im Social Business?
Händler brauchen eine Menge Fingerspitzengefühl und Verständnis für die menschliche Natur.
Stefana Broadbent ist eine «Digital Ethnographer» und Senior Lecturer am University College in London. Von 2004 bis 2008 leitete sie bei der Swisscom das «Observatory of Digital Life», welches das Telekommunikations- unternehmen im Bereich Medienkonvergenz strategisch berät. Am GDI-Trendtag vom 14. März hät Broadbent ein Referat mit dem Titel «Du allein: Warum wir in sozialen Medien wenig Freunde haben». Alle Interviews mit den Trendtag-Referenten finden Sie in der News-Rubrik