«Das Problem im Bewerbungsprozess ist oft, dass wir unsere Fähigkeiten überbewerten», sagt Christina Gravert, Assistenzprofessorin an der Universität Kopenhagen. Und dabei spricht sie nicht aus der Perspektive der Bewerberin. Gerade HR-Spezialistinnen und -Spezialisten stützten sich in ihren Entscheidungen oft auf ihr durch die Erfahrung gewonnenes vermeintlich «gutes Gespür» für die geeignete Person.
Eine Untersuchung der beiden Wirtschaftsprofessorinnen Cecilia Rouse und Claudia Goldin aus dem Jahr 2000 zeigt die Konsequenzen daraus. Die Wissenschaftlerinnen befassten sich mit dem Rekrutierungsprozess von Musikerinnen und Musikern in den fünf besten Orchestern der USA seit dem zweiten Weltkrieg. In den 1970er Jahren wandelte sich das Verfahren beim Probevorspiel: Immer häufiger führte man «blinde» Auditionen durch. Ab diesem Zeitpunkt veränderten sich die Geschlechterverhältnisse in den Orchestern. Der durchschnittliche Anteil Musikerinnen erhöhte sich von 10 auf 35 %.
Für Christina Gravert belegt diese Untersuchung die Voreingenommenheit von Entscheidungsträgern – in diesem Fall Jurys aus weltberühmten Dirigenten. Die glaubten zu wissen, wer gut und wer schlecht spiele. Doch die blinden Auditionen hätten ein anderes Bild gezeigt.
Gravert plädiert in einem unternehmerischen Kontext für standardisierte Job-Interviews mit Aufgaben, die alle Kandidatinnen und Kandidaten lösen müssen. Das erhöhe die Chancengleichheit und lasse Vorurteilen weniger Raum, sagt sie in diesem Video-Interview:
Christina Gravert ist Assistenzprofessorin an der Universität Kopenhagen und Referentin an der Academy of Behavioral Economics, die am 30. Januar 2019 im Gottlieb Duttweiler Institute stattfinden wird.