GDI: Lassen Sie uns mit den Grundlagen beginnen: Warum sollte ich etwas kaufen, das ich nicht anfassen kann, das ich kaum benutzen kann und dessen Wert durch nichts gestützt wird?
Richard Hobbs: Ich denke, das ist das erste Missverständnis. Ein digitaler Vermögenswert kann genauso viel Wert haben, wenn nicht sogar mehr, wie ein physisches Produkt.
Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, den Wert zu ermitteln. Da es hier um eine Veranstaltung (72. Internationale Handelstagung) geht, die sich mit dem Einzelhandel befasst, wissen wir wohl alle, dass der Einzelhandelspreis eines Artikels irgendwo zwischen dem zwei- und 20-fachen der tatsächlichen Produktionskosten liegt. Es gibt eine Reihe von Faktoren, die den endgültigen Preis bestimmen. Nicht zuletzt die Gewinnspannen, die die Einzelhändler und Marken ansetzen, um den Wert im Sinne der Begehrlichkeit durch Marketing und Werbung sowie der wahrgenommenen Knappheit zu steigern. Die VerbraucherInnen werden einen höheren Preis zahlen, wenn sie den Wert des Gegenstands aufgrund seines Nutzens, seiner Begehrlichkeit und seiner kulturellen Bedeutung erkennen – also wenn er ihnen zusätzlich zu einer «normalen» Eigentümerbeziehung sozialen Einfluss verleiht.
Ein digitaler Vermögenswert, der als Token gesichert ist, kann all das und noch mehr bieten. Viele Leute denken immer noch, dass ein NFT ein jpg ist, das mit der rechten Maustaste angeklickt, abgespeichert und somit entwertet werden kann. Die Menschen müssen aber nicht nur ein Bild betrachten, sondern Web3 als Ganzes. Der Besitz eines Tokens bedeutet, dass sie die Mittel und die Möglichkeit haben, sich voll und ganz auf Web3 einzulassen (solange sie mit den richtigen Leuten zusammenarbeiten!). Das ermöglicht ihnen, Teil einer Gemeinschaft (und grösserer Gemeinschaften) zu sein, in der sie EigentümerInnen Ihrer digitalen Vermögenswerte, einschliesslich Ihrer Daten, sind. Dieser Besitz kann die Grundlagen von Eigentum ermöglichen, aber auch fraktales oder geteiltes Eigentum, Mietmodelle und mehrere Versionen von Play-to-Earn-Tokenomics umfassen. All dies ist für die Mode im Metaverse von Bedeutung.
Über welche Summen reden wir, wenn wir über die Bewertung des NFT-Modemarktes sprechen?
Die Entwicklung der digitalen Mode steckt noch in den Kinderschuhen, so dass alle Zahlen spekulativ sind. Wir kratzen gerade mal an der Oberfläche, aber die Entwicklung wird dramatisch sein. Die weltweite Textil- und Bekleidungsindustrie liegt je nach Informationsquelle zwischen 1.5 und 2.5 Mrd. USD, was offen gesagt absurd ist, wenn man sich vor Augen führt, welchen Schaden insbesondere die Fast Fashion an den Ressourcen der Erde anrichtet. Wenn die digitale Mode dazu beitragen kann, diesen Schaden zu verringern, dann wäre das fantastisch.
Das Suchvolumen für «NFT» bei Google ist seit Anfang des Jahres rückläufig. Was sagt uns das?
Ich selbst benutze den Begriff lieber nicht. Er war in den letzten 18 Monaten so sehr mit Hype und negativer Berichterstattung verbunden, dass er von den positiven Aspekten der Tokenisierung digitaler Vermögenswerte und der Entwicklung von Web3 ablenkt. Und davon, wie sich dadurch unglaubliche Möglichkeiten für Einzelpersonen als VerbraucherInnen und SchöpferInnen sowie für die Marken ergeben, die sich das Ethos dieser neuen Sphäre kommerzieller Aktivitäten zu eigen machen. Das bedeutet auch, dass die Scharlatane und Gauner den Markt verlassen und die besten BetreiberInnen den Wettbewerb anführen werden!
Welche Modetrends sind derzeit im Metaverse führend, und wer setzt sie?
Der Reiz und die Schönheit der digitalen Mode liegt darin, dass sie nicht mit den gleichen Beschränkungen zu kämpfen hat wie in der realen Welt. Physik, Schwerkraft, Materialien, Strukturen, Landschaften – all das steht wirklich kreativen Köpfen offen, die damit experimentieren und erstaunliche Erfahrungen und Produkte schaffen können. Darin sehe ich die Führungsrolle des Designs: Visionäre 3D-Designer, die das Potenzial der heute verfügbaren Softwaretools für die Erstellung von 3D-Produkten, Animationen und Echtzeit-Rendering nutzen können. In der Zwischenzeit gibt es Marken, die Schritte unternehmen, um sich im Web3 zu engagieren, und zwar durch die Kernelemente des Community-Aufbaus, der Einbindung in das Metaverse und der Zusammenarbeit. Adidas hat einige solide Schritte unternommen.
Werden wir neue Modemarken sehen, die für das Metaverse geschaffen werden?
Auf jeden Fall. Seit wir Anfang 2019 mit der Arbeit bei Brand New Vision begonnen haben, Token zu erstellen, zu lancieren, einen Marktplatz zu betreiben und die Tragbarkeit von Mode für das Metaverse zu entwickeln, habe ich gesagt: Die erfolgreichsten und profitabelsten Marken werden diejenigen sein werden, die sich voll und ganz darauf einlassen oder wirklich digital native sind.
Richard Hobbs ist Referent an der 72. Internationalen Handelstagung, die vom 8. bis 9. September am Gottlieb Duttweiler Institut stattfindet. Jetzt anmelden!