GDI: Pandemie und Krieg haben die globalen Lieferketten ins Stocken gebracht. Für immer?
Michel Gruber: Pandemie und Krieg haben uns gezeigt, dass wenig «für immer» Bestand hat. Die beiden Krisen haben uns auch gelehrt, dass die Globalisierung viel an Effizienzgewinnen (und damit auch Wohlstand) gebracht hat – im Gegenzug aber die gegenseitigen Abhängigkeiten und Risiken stark angestiegen sind. Entsprechend bin ich überzeugt, dass künftig gerade in Schlüsselindustrien vermehrt wieder «regionaler» oder «nationaler» produziert, auf mehrere Lieferanten gesetzt oder die Lagerhaltung erhöht wird. Diese Massnahmen werden jedoch leider zu höheren Kosten führen.
Welche Herausforderungen bereiten Ihnen am meisten Bauchschmerzen?
Am meisten Sorgen macht mir die sehr stark ansteigende Inflation, welche seitens Zentralbanken nur sehr zögerlich adressiert wird. Auch haben wir nach der langen Periode sehr tiefer Zinsen verlernt, mit Inflation umzugehen und unterschätzen teilweise die negativen Folgen. Inflation hat enorme Kosten, führt zu einem Verlust an Kaufkraft insbesondere bei den weniger privilegierten Gesellschaftsschichten und schwächt den gesellschaftlichen Zusammenhang. Hier möchte die Migros mit ihrem Einsatz für faire Preise und mir ihrem grossen Engagement für die Gesellschaft eine relevante Rolle spielen.
Es heisst, der klimafreundlichste Konsum sei der Konsumverzicht. Was kann der Handel tun?
Die Migros setzt zum einen stark auf die Science-Based-Target-Initiative und reduziert ihren CO2-Ausstoss nicht nur in der Migros-Gruppe selber, sondern über die ganze Wertschöpfungskette mit ambitionierten, verbindlichen Zielsetzungen. Damit machen wir Produkte resp. Konsum laufend klimafreundlicher. Ein zweiter wichtiger Aspekt ist die Transparenz über die Klimawirkung von Produkten und die Möglichkeit zur Kompensation wie bei DigitecGalaxus oder Migros Online bereits möglich. Und drittens sehen wir ein grosses Potential in Miet-Modellen (sprich man mietet Produkte gezielt für die Nutzung), Wiederverkauf, Recycling, etc.
Cashierless-Shopping wie bei Amazon Go ist bei uns noch nicht richtig angekommen, da eröffnen die ersten Unternehmen schon Filialen im Metaverse. Kann der Schweizer Handel mithalten?
Die grosse Herausforderung ist, zwischen relevanten Entwicklungen und vorübergehenden Trends zu unterscheiden. Hier spielen Demographie, Kaufkraft, regionale Verwurzelung und anderes eine grössere Rolle als das neueste Buzzword. Ich bin überzeugt, dass der Schweizer Handel mithalten kann, wenn er die relevanten Entwicklungen mutig angeht und gleichzeitig die regionalen Stärken ausspielt. Mit DigitecGalaxus beispielsweise sind wir technologisch weit fortgeschritten und nehmen internationale Entwicklungen auf. Gleichzeitig bieten wir aber im Gegensatz zu grossen internationalen Anbietern ehrliche Produktbewertungen von echten Nutzern, verkaufen keine Banners an Lieferanten und schaffen Arbeitsplätze in der Schweiz.
Wie sieht Ihre Vision für das Einkaufen in zehn Jahren aus?
Die Bandbreite der Einkaufsmöglichkeiten wird sich weiter erhöhen. Das kleine Nachbarschaftslädeli mit dem persönlichen Kontakt wird es ebenso geben wie schnelle Transaktionen im Metaverse. Und alles dazwischen und wohl auch darüber hinaus.
Michel Gruber ist Referent an der 72. Internationalen Handelstagung, die vom 8. bis 9. September am Gottlieb Duttweiler Institut stattfindet. Jetzt anmelden!