Mathias Binswanger: «Das Wachstum ist mit Kollateralschäden verbunden»

Klimastreik und Nachhaltigkeitstrend seien ein Hype, der vorübergehen werde, meint Ökonom Mathias Binswanger. Warum wir trotz negativer Konsequenzen von wirtschaftlichen Tätigkeiten noch nicht bereit sind für weniger Wirtschaftswachstum, erklärt er in einem Interview.   
18 Juni, 2019 durch
Mathias Binswanger: «Das Wachstum ist mit Kollateralschäden verbunden»
GDI Gottlieb Duttweiler Institute
 

GDI: Uns geht es gut. Wozu noch mehr Wachstum?

Mathias Binswanger: Das ist die entscheidende Frage. Die traditionelle ökonomische Theorie geht davon aus, dass das Wachstum durch die Bedürfnisse getrieben ist und jederzeit aufhören kann, wenn die Menschen genug haben. Eine genauere Analyse der Funktionsweise moderner kapitalistischer Wirtschaften zeigt aber auf, dass diese ohne Wachstum gar nicht funktionieren. Nur wenn längerfristig Wachstum stattfindet, kann eine Mehrheit der Unternehmen Gewinne erzielen und somit erfolgreich sein. Hört das Wachstum hingegen auf, beginnen mehr Unternehmen Verluste zu machen und verschwinden vom Markt, die Arbeitslosigkeit nimmt zu, der Konsum geht zurück und die Wirtschaft gerät in eine Abwärtsspirale. Es gibt also nur die Alternativen wachsen oder schrumpfen.

Umgekehrt: Was ist schlecht am Wachstum?

Das Wachstum ist mit Kollateralschäden verbunden. Diese betreffen insbesondere die Umwelt, welche durch die Wirtschaftstätigkeit erheblich belastet wird. Zwar können wir dank des technischen Fortschritts das Wachstum immer mehr von Ressourcenverbrauch und Schadstoffemissionen (vor allem CO2-Emissionen) entkoppeln, aber global nehmen die Umweltbelastungen weiterhin zu. Und es gibt noch einen zweiten wichtigen Punkt: In hochentwickelten Ländern wie der Schweiz stellen wir fest, dass das Wirtschaftswachstum nicht mehr dazu führt, dass die Menschen im Durchschnitt glücklicher oder zufriedener werden, während umgekehrt der Stress zunimmt. Deshalb können wir das Wachstum auch aus diesem Grund in Frage stellen.  

Wenn mehr Wachstum zu viel ist und weniger zu wenig: Heisst die Lösung Stagnation?

Stagnation ist auf die Dauer nicht möglich. Stattdessen gerät die Wirtschaft ohne Wachstum in eine Abwärtsspirale. Das können wir sehr gut in Griechenland erkennen, wo die Wirtschaft sechs Jahre hintereinander nicht mehr gewachsen ist. In diesem Zeitraum ist etwa ein Drittel aller Unternehmen verschwunden, und die Arbeitslosigkeit stieg auf fast 30 Prozent. Die Vermeidung dieser Abwärtsspirale ist der eigentliche Wachstumszwang.

Klimastreik, Sharing- und Nachhaltigkeitstrend: Bloss Hype?

Das ist ein Hype, der wieder verschwinden wird, wie viele Hypes in der Vergangenheit auch. Allerdings steht dahinter ein Unbehagen an unserem Wirtschaftssystem, das sich immer wieder äussert. Man wird sich bewusst, dass wirtschaftliche Tätigkeit Schaden anrichtet und fragt sich nach dem Sinn eines weiteren Wirtschaftswachstums. Doch die Vorstellungen über Alternativen sind meist sehr naiv, da ein Ausstieg aus dem heutigen Wirtschaftssystem mit erheblichen Wohlstandseinbussen verbunden wäre.

Droht das Ende von Kapitalismus und Wohlstand?

Die Weltwirtschaft wächst seit Jahrzehnten sehr regelmässig mit realen Wachstumsraten von normalerweise zwischen 2 und 4 Prozent. Ein Ende des Wachstums zeichnet sich heute nicht ab. Seit der Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft mit der industriellen Revolution zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde diesem System auch immer wieder sein Ende vorausgesagt. Ein Beispiel dafür ist der 1972 publizierte Bericht des Club of Rome zu den «Grenzen des Wachstums». Doch die Wirtschaft hat es stets geschafft, diese Grenzen weiter in die Zukunft zu verschieben. Zwar werden wir irgendwann eine Grenze erreichen, aber diese scheint im Moment so weit weg, dass sie das Verhalten der Wirtschaftsakteure kaum beeinflusst.

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