Detlef Gürtler im Interview: Wohnen als Lebenskonzept

Wie werden wir in Zukunft wohnen? Klar ist: So wie heute nicht. Wir leben auf zu grossem Raum und verbrauchen zu viele Ressourcen. Ein Gespräch mit GDI-Forscher Detlef Gürtler über Wohnen in der Zukunft.
16 May, 2019 durch
Detlef Gürtler im Interview: Wohnen als Lebenskonzept
GDI Gottlieb Duttweiler Institute

Wohnen heute ist nicht zukunftsfähig. Es fehlt an Wohnraum, weltweit mehr noch als hierzulande. Wohnen ist zu teuer. Und unsere Form des Wohnens taugt nicht für alle Menschen auf dem Planeten: zu groß, zu hoher Ressourcenverbrauch und in der Energiebilanz katastrophal. Nicht zuletzt macht der Wandel der Lebensverhältnisse die alte universale Familienwohnung zum Modell von gestern. Wohnen wird sich in Zukunft unterschiedlichen Lebenskonzepten öffnen. Es wird dekonstruiert und zu flexiblen, anpassungsfähigen Modellen neu zusammengesetzt: Microliving.

Detlef Gürtler: Bei Mikroappartements ist das Wohnen auf ein Mindestmaß an Funktionen und Größe reduziert. In der Regel gibt es staatliche Vorgaben. So müssen in der Schweiz Mikroappartements beispielsweise 30 Quadratmeter groß sein. An der Ostküste der USA sind es 40, an der Westküste weniger als 30 Quadratmeter. In unseren Breiten gehört eine Heizung dazu, in Brasilien kann man hingegen keine Wohnung ohne Aircondition verkaufen oder vermieten. Die Frage, was man unter Mikro versteht, ist also kultur- und kontextspezifisch.

Das würde ich sagen, sonst ist man im Elendsquartier. Ein Mikroappartement braucht ein Bad oder eine Dusche, ein Klo, irgendeine Form von Küche, ein Bett, und es braucht eine Art Abgeschlossenheit. Man muss die Tür nach draußen zumachen können. Das steckt im Wort Appartement drin - apart, einzeln, gesondert. Alle weiteren Funktionen - Arbeiten, Lernen, Freunde treffen - sind möglich, aber nicht notwendig.
Wofür könnten Mikroappartements eine Lösung sein und für wen?
Anbieter von Mikroappartements gehen davon aus, dass niemand freiwillig sein Leben lang in so einer kleinen Wohnung wohnt. Das Angebot konzentriert sich vor allem auf Studenten, die neu in der Stadt sind und nicht so viel Hausstand besitzen, und auf die mobilen Arbeitskräfte der digitalen Ära. Oder auch auf frisch Getrennte: Wenn deine Frau dich rauswirft und du noch hoffst, dass sie dich wieder zurücknimmt, kann ein Mikroappartement eine gute Lösung sein. Doch wenn du nach einem Jahr feststellst, oh nein, sie hat die Scheidung eingereicht, das wird nichts mehr, dann wirst du dir vermutlich eine andere Wohnform suchen.

Ich glaube, der wichtigste Trend dabei ist Mobilität. Menschen sind mobil, sie gehen für bestimmte Abschnitte ihres Lebens in andere Städte - zum Lernen, zum Arbeiten. Ich kenne niemanden, der in seiner Geburtsstadt in ein Mikroappartement ziehen würde, in der Fremde aber sehr wohl. Hinzu kommen Individualisierung - alles wird auf einen zugeschnitten - und Sozialisierung: Man bewegt sich in Netzwerken. Mikroappartements können beides ermöglichen. Sie bieten relativ kostengünstig einen individuellen Lebensraum. Und weil man dort nur kochen, schlafen, duschen kann, geht man für alles andere vor die Tür. Trifft seine Freunde im Café, wäscht seine Wäsche im Waschsalon. Das wird auch nicht als Zeichen der Armut gesehen, sondern eher als Zeichen von Reichtum.

Für meine Mutter war der Tag, an dem sie ihre eigene Waschmaschine bekommen hat, immens wichtig. Ihre Mutter hatte keine, sie war die Erste in der langen Generationenfolge, die eine eigene besaß. Ihre Enkelin, also meine Tochter, hat sich einmal eine Waschmaschine angeschafft und wird es vermutlich nie wieder tun. Zu teuer, zu kompliziert, vor allem aber unnötig. Die Akzeptanz hat sich verändert. Dinge, die man früher gerne in der eigenen Wohnung gemacht hat, werden heute ins Außen verlagert.

Das vollständige Interview lesen Sie hier.

Detlef Gürtler ist Co-Autor der GDI-Studie «Microliving – Urbanes Wohnen im 21. Jahrhundert». Die Studie kann kostenlos hier heruntergeladen werden:

Studie, 2018 (kostenloser Download)

Sprachen: Deutsch
Im Auftrag von: iLive

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