Von oben verordnet, unten verpufft? KI in Unternehmen richtig nutzen

Viele Unternehmen investieren in KI – und sind frustriert, wenn daraus kein echter Nutzen entsteht. Dr. Anne Scherer von Delta Labs erklärt im GDI-Interview, warum der Mensch der Schlüssel zum Erfolg ist, was «KI-Literacy» mit Excel zu tun hat und weshalb Grassroots-Projekte oft die besseren Resultate liefern.
17 Juli, 2025 durch
Von oben verordnet, unten verpufft? KI in Unternehmen richtig nutzen
GDI Gottlieb Duttweiler Institute

Frau Scherer, als Mitgründerin von Delta Labs begleiten Sie Unternehmen auf ihrem Weg in die Welt der KI und haben tiefe Einblicke in deren Herausforderungen. In welchen Bereichen ist der Unterstützungsbedarf aktuell am grössten, und wie hat sich dieser seit der Gründung Ihres Start-ups im Jahr 2022 verändert?

Als wir gestartet sind, war das Thema KI-Literacy das grösste Anliegen. Viele Unternehmen wollten zunächst einfach verstehen, was KI überhaupt ist. Dazu haben wir speziell für C-Level-Managements eigene Trainings durchgeführt, weil sie sich einen klaren Überblick verschaffen wollten. Ein grosser Fokus vieler Unternehmen war zu Beginn auch das Thema Prompt Engineering – viele fragten sich, was genau das ist und wie sie es effektiv nutzen können. Später nahmen die Anfragen nach konkreten Use Cases zu. Unternehmen wollten wissen, wie sie KI praktisch in ihren Arbeitsbereichen einsetzen können. Jetzt, in einer dritten Phase, merken wir, dass die Unternehmen ein besseres Verständnis von Large Language Models und deren Anwendung haben. Es geht zunehmend darum, die Technologie konkret umzusetzen. Themen wie Feintuning, das sichere Setup und die Integration in die eigene Infrastruktur werden jetzt wichtiger. Auch die Frage nach den benötigten Daten und deren Qualität rückt mehr und mehr in den Fokus.

Viele Unternehmen sind also daran, konkrete KI-Projekte umzusetzen. Welche unterschiedlichen Herangehensweisen sind Ihnen dabei begegnet?

In unserer Arbeit begegnen wir sehr unterschiedlichen Ansätzen. Die Projekte, die am schnellsten gestartet sind und am zügigsten vorangetrieben wurden, kamen oft direkt vom C-Level. Da gab es früh die Ansage: «Generative KI – wir müssen etwas machen.» Das wurde dann weitergegeben, so nach dem Motto: «Leute, schaut mal, was ihr damit machen könnt.» Diese Projekte starteten zwar sehr schnell, waren für uns aber in der Umsetzung manchmal schwierig, weil die Mitarbeitenden oft überhaupt nicht abgeholt wurden. Die Technologie wurde quasi von oben herab eingeführt, und die Leute standen plötzlich vor der Aufgabe, etwas damit machen zu müssen, ohne darauf vorbereitet zu sein. Im Gegensatz dazu gab es Projekte, die ganz anders aufgesetzt waren, eher von unten heraus – sogenannte Grassroots-Initiativen. Dort haben Teams für sich erkannt: «Wir wollen generative KI einsetzen, wir wollen verstehen, was das für unseren Bereich bedeutet.» Diese Projekte starteten zwar langsamer, aber am Ende waren sie in der Umsetzung ganz anders. Man hat gemerkt, dass die Beteiligten voll motiviert waren und ein klares Verständnis dafür hatten, was die Technologie für ihren Arbeitsbereich leisten kann.

Diese Projekte starteten zwar sehr schnell, waren für uns aber in der Umsetzung manchmal schwierig, weil die Mitarbeitendenoft überhaupt nicht abgeholt wurden. Die Technologie wurde quasi von oben herab eingeführt.

Dr. Anne Scherer, Delta Labs AG


In vielen Unternehmen wird KI häufig durch externe Softwareanbieter wie Microsoft oder Google eingeführt, indem sie in bestehende Software integriert wird. Wie stellen Unternehmen sicher, dass solche Technologien tatsächlich einen Mehrwert für alle bieten?

Mein Eindruck ist, dass Unternehmen, die beispielsweise Microsoft Copilot einführen oder interne GPT-Modelle entwickeln und ausrollen, oft zunächst auf ein Problem stossen: Sie verfügen über ein grossartiges KI-Modell, aber es wird kaum richtig genutzt. Ein paar KI-Enthusiastinnen stürzen sich darauf, doch der Grossteil der Belegschaft bleibt aussen vor. Wenn ein Unternehmen einfach ein generisches GPT-Modell bereitstellt, weiss derdie Marketing-Managerin oder Kommunikationsleiterin oft nicht, wie ersie es auf seineihre spezifische Arbeit anwenden soll. Daher ist es entscheidend, die Mitarbeitenden mit personalisierten Trainingsprogrammen an die Technologie heranzuführen, abgestimmt auf ihren individuellen Arbeitsbereich. Das erinnert in gewisser Weise an die Einführung von Excel vor vielen Jahren: Gibt man den Leuten Excel, ohne zu erklären, wie es funktioniert oder welchen Nutzen es in ihrem Job bringt, wird es nicht genutzt. Früher arbeiteten viele vielleicht noch mit Taschenrechnern, und erst durch gezielte Schulungen konnten sie die neuen Möglichkeiten in ihre Routinen integrieren. In den nächsten drei bis fünf Jahren werden wir sicher eine zunehmende Anzahl solcher Trainingsprogramme erleben. Schon jetzt erkennen wir eine steigende Nachfrage in diesem Bereich.

Die beschriebenen Probleme (z.B. fehlendes Involvement aller Mitarbeitenden, Top-Down Implementierung) scheinen vor allem Grossunternehmen mit vielen Mitarbeitenden und zahlreichen Teams zu betreffen. Seht ihr Unterschiede zwischen Start-ups, KMUs und Corporates?

Der Unterschied zwischen grossen Unternehmen und kleinen Start-ups ist tatsächlich sehr deutlich. In grossen Konzernen gibt es zwar riesige IT-Abteilungen, die selbst erste KI-Lösungen entwickeln können. Der kulturelle Wandel ist dort jedoch viel schwieriger. Diese Unternehmen haben bereits komplexe Strukturen, die sich nur schwer auf das Thema KI ausrichten lassen. In grossen Unternehmen gibt es zudem oft Widerstände oder eine gewisse Zurückhaltung, da viele Mitarbeitende Angst haben, ihre Arbeitsplätze könnten durch KI gefährdet werden. Daher sind sie mit dem Thema KI viel langsamer unterwegs. Im Gegensatz dazu ist es in einem KMU oder kleinen Start-up wie unserem viel einfacher. Wir wachsen direkt mit der KI. Bevor wir beispielsweise neue Mitarbeitende einstellen, prüfen wir zuerst, ob nicht eine KI das für uns übernehmen kann. Das Mindset ist hier einfach ein anderes – wir integrieren KI von Anfang an und gestalten so unsere Prozesse schneller. Momentan kann KI deshalb aus meiner Sicht insbesondere für kleinere Unternehmen ein grosser «Boost» sein.

Das Thema Angst vor negativen Folgen der KI sehen wir auch in unseren Befragungen. Woher kommt Ihrer Meinung nach die Angst? Und wie sollten Unternehmen damit umgehen?

Ich denke, ein grosser Teil der Angst kommt daher, dass Menschen befürchten, von der KI ersetzt zu werden. Sie fragen sich, ob ihre Arbeit noch gebraucht wird und welchen Platz sie in der Gesellschaft haben. Diese Sorgen sind völlig verständlich. Deshalb ist es wichtig, den Mitarbeitenden zu vermitteln, was KI wirklich kann und was nicht. Ein gutes Beispiel, um das zu verdeutlichen, ist eine einfache Aufgabe wie: «Gib mir eine Liste von zehn Wörtern mit neun Buchstaben.» Diese Aufgabe kann KI derzeit nicht lösen. Es zeigt, dass KI in vielen Fällen keine «gesunde Menschenlogik» hat und noch an einfachen Aufgaben scheitert. Dieses Verständnis hilft, die Vorstellung abzubauen, dass KI alles ersetzen kann. Es ist wichtig, den Menschen zu vermitteln, dass KI ein Werkzeug ist, das dabei hilft, die Arbeit effizienter zu gestalten und das Leben zu erleichtern, aber es kann nicht alles. Es braucht immer noch den Menschen, der kritisch überprüft und den «Human in the Loop»-Ansatz einbringt. Die Menschen, die KI am meisten nutzen, sind oft die entspanntesten, weil sie verstehen, dass es sich um ein Werkzeug handelt, das ihre Arbeit verbessert, aber eben nicht ersetzt. In der Gesellschaft müssen wir zu einem realistischeren Bild von KI kommen – so wie wir es bei früheren Technologien wie PCs oder Excel schon gesehen haben. Es hat vieles vereinfacht, aber war nie der Ersatz für den Menschen. Auch in der Ausbildung müssen wir viel früher ansetzen, um den Umgang mit KI zu vermitteln und die Ängste abzubauen. Wir müssen klarstellen, was KI leisten kann, aber auch, was sie nicht leisten kann, um eine gesunde, realistische Wahrnehmung zu fördern und Ängste abzubauen.

Es braucht immer noch den Menschen, der kritisch überprüft.

Dr. Anne Scherer, Delta Labs AG


Was glauben Sie: Über welchen Zeithorizont sprechen wir, bis generative KI tatsächlich einen tiefgreifenden Mehrwert in Unternehmen liefern wird?


Das wird zweifellos Zeit in Anspruch nehmen. Wir stehen gerade erst am Anfang dieser Entwicklung. Ich schätze, es wird noch einige Jahre dauern, bis die Mehrheit der Unternehmen und Mitarbeitenden diese Technologien nahtlos und effizient in ihre Arbeitsprozesse integriert hat.

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