Sechs Thesen, wie KI-Prognosen unser Leben verändern werden

Die Möglichkeiten radikal genauerer Prognosen durch Künstliche Intelligenz wird unser Leben ebenso radikal verändern. GDI-Forschungsleiterin Karin Frick hat sechs Thesen zur Künstlichen Intelligenz aufgestellt, die sie hier und an der Konferenz «The Power of Predictions» vom 4. Juni 2019 vertieft.
9 Mai, 2019 durch
Sechs Thesen, wie KI-Prognosen unser Leben verändern werden
GDI Gottlieb Duttweiler Institute
 

Wiki-Conpept-Map: Überblick über die wichtigsten Prognose-Methoden und -Anwendungsfelder, anaylsiert anhand von englischen Wikipedia-Einträgen

«"Künstliche Intelligenz" ist beinahe die Definition eines Hypes», schrieb das Marktforschungsunternehmen Gartner vor knapp einem Jahr und ergänzte im vergangenen Februar sinngemäss: Das Potential sei enorm, Umsetzungen liessen aber länger als erwartet auf sich warten. Auch bei KI führen grosse Wörter also zu grossen Erwartungen und zu grossen Missverständnissen – zurzeit scheint ja auch alles, was mit Informatik zu tun hat, irgendwie KI zu sein.

Weit simpler ist es, die Frage nach der Funktion künstlicher Intelligenz zu stellen. Vereinfacht gesagt, ermöglicht sie bessere Vorhersagen. Die Suchresultate bei Google? Vorhersagen über meine Interessen. Empfehlungen bei Amazon? Ebenso. Die Spracherkennung von Siri? Dito. Was KI also leistet, sind Prognosen. Das gilt auch für viel komplexere Gebiete wie die Logistik eines Händlers, Verkehrsströme oder die Entwicklung eines Tumors.

Diese wenigen Beispiele machen klar: Die Möglichkeiten radikal genauerer Prognosen wird unser Leben ebenso radikal verändern. Daraus ergibt sich eine Vielzahl neuer Fragen: Wie wird sich das Entscheidungsverhalten im Geschäft und im Privaten verändern, wenn wir die Zukunft besser vorhersagen können? Was wird technisch möglich? Und welches sind die wichtigsten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen? – Eine Einführung in sechs Punkten:

Prognostik war lange eine Grenzwissenschaft, Vorhersagen waren oft mehr Magie denn Wissenschaft. Nun findet ein Wandel statt: mehr Science, weniger Fiction. Denn im Zuge der Digitalisierung werden Vorhersagen immer besser. Sie basieren hauptsächlich auf der wachsenden Verfügbarkeit von Daten, der Leistungsfähigkeit von Computern und auf Machine Learning – einem Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz. Dabei werden Algorithmen trainiert, empirische Zusammenhänge in grossen Datenmengen zu erkennen. Sie lernen zum Beispiel, Muttermale, die möglicherweise krebserregend sind, zu unterscheiden von harmlosen Sommersprossen und erreichen dabei eine Genauigkeit, die jene von menschlichen Experten übertrifft. Solche Algorithmen werden neben der Medizin mehr und mehr auch in anderen Branchen wie Rechts- und Steuerwesen, Marketing, Verkehr und Landwirtschaft eingesetzt. Ein wesentlicher Unterschied zwischen mathematischen und magischen Methoden ist, dass die Prognosen überprüft und in Echtzeit mit realen Entwicklungen und konkurrierenden Prognosen abgeglichen werden können – was wiederum die Prognosequalität verbessert.

Algorithmen verleihen keine hellseherischen Fähigkeiten. Sie lassen nicht in die Zukunft sehen, doch sie machen Sachverhalte und Zusammenhänge sichtbar. Predictive Analytics sind aufgabenspezifische Vorhersage-Systeme, die nicht auf das grosse Ganze zielen, sondern auf die bekannten Unbekannten. Im Vordergrund stehen Kurzfrist- oder Echtzeitprognosen, etwa für Wetter, Verkehrslage oder Epidemien. Bekannte Risiken werden berechenbarer, und neue Risikofaktoren können früher entdeckt werden. Mit besserer Vorhersagetechnologie weitet sich der Radius aus, in dem wir uns sicher bewegen können.

Als erstes automatisiert die neue Vorhersage-Technik die Arbeit von Experten. Von der Finanz- und Reise- über die Ernährungs- bis zur Paarberatung werden Prognose-Systeme zum Einsatz kommen. Das macht professionellen Rat kostengünstiger und für den Massenmarkt verfügbar. Smarte Assistenten werden individuell evidenzbasierte Vorhersagen erstellen und Empfehlungen zu den passenden Trainings-, Diät- oder Vorsorgeprogrammen liefern. So können auch Personen, die sich bisher keine persönliche Beratung leisten konnten, jederzeit virtuelle Top-Experten konsultieren können – im Zweifelsfalle gleich mehrere gleichzeitig. Darüber hinaus finden auch Fachleute qualifizierte Unterstützung.

Auch im Alltag werden Prognosetools immer beliebter werden, wenn sie das Leben vereinfachen. Ist die Einkaufsliste vollständig? Der Arzttermin vereinbart? Die Wäsche gewaschen? Und wann müssen morgen die Kinder abgeholt werden? Solche organisatorischen Fragen, die das Gehirn gleichsam verstopfen, werden als «Mental Load» bezeichnet. «Smart Assistants» wie Alexa oder Siri könnten diesen Mental Load von Haushalt- und Familienmanagement dereinst übernehmen – so wie einst Waschmaschinen, Staubsaugroboter und Fertigmahlzeiten geholfen haben, den Aufwand für Hausarbeit zu reduzieren.
Der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann unterscheidet bekanntlich zwischen zwei Arten des Denkens: dem schnellen, instinktiven und emotionalen «System 1» und dem langsameren und rationaleren «System 2». Das schnelle, emotionale Denken des «Systems 1» läuft automatisch ab. Allerdings neigt es zu falschen Einschätzungen und vorschnellen Entscheidungen. Die logische Urteilsbildung des «Systems 2» hingegen muss bewusst aktiviert werden und ist rasch ausgelastet. Smarte Assistenten könnten daher seine Funktion übernehmen: Immer wenn Dinge durchgedacht werden müssen, verschiedene Faktoren verglichen und Alternativen geprüft, könnte man das Denken an die Vorhersagemaschinen delegieren. Denn insbesondere in Umgebungen mit vielen Daten (Betrugserkennung, medizinische Diagnosen) sind die Maschinen den Menschen überlegen. Bald würde es unvorstellbar, wichtige Entscheidungen ohne Maschinenverstärkung zu treffen. Vielleicht gälte es gar als verantwortungslos, einen Partner, Mitarbeiter oder Politiker ohne ein algorithmisches Gutachten zu wählen.
Selbstverständlich bestünde die Gefahr einer zunehmenden Infantilisierung der Gesellschaft: Wieso noch lernen, wenn ein Expert-Mind in der Tasche alles besser weiss und alle Probleme löst? Anderseits kann Anstrengung wie beim Sport auch beim Denken lustvoll sein, und Fitness für das Gehirn könnte bald ebenso normal werden wie für den Körper.

Die Ausbreitung der Prognose-Systeme ist kaum aufzuhalten. Wenn die Konkurrenz vorhersagen kann, wer wann eine neue Brille braucht, wie viele Bratwürste ein ganz bestimmter Supermarkt am übernächsten Samstag verkaufen wird und welcher neue Mitarbeiter am meisten leisten wird, dann ist schnell aus dem Geschäft, wer sich nur auf sein Bauchgefühl verlässt. Entscheidend für die gesellschaftliche Akzeptanz der Vorhersagetechnik wird daher sein, wer mit ihrer Hilfe klüger wird: alle Menschen oder nur ganz wenige? – Prognosemaschinen sind Denkwerkzeuge, die uns dabei unterstützen, in einer hyperkomplexen Welt zu navigieren. In dem Sinn, dass unser Wissen über uns selbst und die Welt wächst, ist das eine gute Sache. Die Gefahr droht nicht von diesem Mehr an Wissen, die Gefahr droht von der ungleichen Verteilung des Wissens. Um den Missbrauch von Prognosetechnik einzuschränken, muss man ihren Gebrauch demokratisieren.

Bisher werden wichtige Entscheide meist im Rückblick reflektiert: Was würden wir ändern, wenn wir noch einmal von vorne anfangen könnten? Bessere Messinstrumente erweitern unser Vorstellungsvermögen durch die Visualisierung von Möglichkeitsräumen und bieten so ein Labor, in dem wir verschiedene Entwicklungspfade simulieren können. Wenn wir also bessere Tools hätten, könnten wir Fragen im Voraus stellen und anders entscheiden, wenn uns die Prognosen nicht gefallen: für einen anderen Partner, einen anderen Job, eine andere Wohnung. Oder wir könnten Situationen und Personen ausweichen, denen wir lieber nie begegnen würden. Ein entscheidendes Merkmal eines guten Prognosesystems ist denn auch, dass es den Spielraum erweitert und alternative Entwicklungspfade aufzeigt – und nicht, dass es das Schicksal vorschreibt. Denn wer mehr über sich weiss, hat mehr Möglichkeiten, seine Zukunft zu verändern. Prognose-Tools helfen, aufgrund von besseren Daten neue Einsichten über sich selbst zu gewinnen und so besser zu verstehen, wer man ist, was einen motiviert, stresst und glücklich macht. Nur wer sich selbst kennt, kann seine Abhängigkeiten reduzieren und seinen Entscheidungsspielraum erweitern. «Erkenne dich selbst», lautet schon die Inschrift beim Eingang zum Orakel von Delphi.

Sie möchten wissen, was KI Ihrem Unternehmen bringt? Dann besuchen Sie die Konferenz «The Power of Predictions – Wie intelligente Maschinen Entscheidungen beeinflussen werden» vom 4. Juni 2019.

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Wie intelligente Maschinen Entscheidungen beeinflussen werden

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