Fördert Digitalisierung das Vertrauen?

Je mehr Sterne, desto vertrauenswürdiger? Rating-Systeme, wie sie auf Online-Plattformen üblich sind, helfen uns dabei, unsere Mitmenschen einzuschätzen. Welche gesellschaftlichen Auswirkungen dieses «messbare Vertrauen» hat, beschreibt GDI-Forscher Jakub Samochowiec in der Studie «Die neuen Freiwilligen».
22 Juni, 2018 durch
Fördert Digitalisierung das Vertrauen?
GDI Gottlieb Duttweiler Institute
 

Dieser Text ist ein Exzerpt aus der Studie «Die neuen Freiwilligen – Die Zukunft der zivilgesellschaftlichen Partizipation», die als kostenloser Download erhältlich ist.

Die Gründer von Plattformen wie Airbnb oder Uber wurden anfangs alle mit derselben Skepsis konfrontiert: Wer sollte Fremde bei sich zu Hause wohnen lassen? Wer würde seine Kreditkartendaten über eine Website preisgeben? Wer würde zu einem Fremden ins Auto steigen? All diesen Einwänden ist eines gemein: Sie unterstellen einen Mangel an Vertrauen.

Heute lassen wir Unbekannte in vielen Bereichen mit grosser Selbstverständlichkeit in unser Leben. Die meisten von uns machen sehr gute Erfahrungen damit, Fremden auf diesen Plattformen zu vertrauen und mit ihnen Autos, Wohnungen oder ihre Freizeit zu teilen. Dieses Vertrauen wird durch die Plattformen gezielt gefördert.

Wichtig ist dabei die Online-Identität. Fast alle Online-Plattformen haben ein Rating-System. Es werden 1–5 Sterne verteilt und Bewertungen geschrieben. Reputation, die sich bisher eher implizit im sozialen Umfeld konstruierte, wird quantifiziert und auf eine globale Ebene gehoben. Vertrauen entsteht, weil die Nutzer davon ausgehen, dass niemand seine gute Reputation aufs Spiel setzen will.

Dieser Logik bedient sich auch der chinesische Staat bei der Einführung eines Social-Credit-Scores. Ab 2020 soll jede Chinesin und jeder Chinese mit einem Score zwischen 350 und 950 Punkten bewertet werden. In diese Bewertung fliessen Verhaltensweisen ein wie rechtzeitiges Bezahlen von Rechnungen, die eigene Haltung gegenüber dem System, das Einhalten von Verträgen oder sonstige Gesetzesüberschreitungen. Hinzu kommt, dass nicht nur das eigene Verhalten eine Rolle spielt, sondern auch das des Umfelds. Der Social-Credit-Score kann einen Einfluss darauf haben, ob man bereit ist, einer Person ein Zimmer über Airbnb anzubieten aber auch ob sie einen Kredit oder ein Visum für Europa erhält.

Es bleibt abzuwarten, ob dieses System aus Vertrauen durch Hyperregulierung tatsächlich zu mehr positiven Verhaltensweisen führt oder ob zwischenmenschliche Interaktionen, besonders mit Fremden, eher zurückgehen – aus Angst, etwas Falsches zu tun und dem eigenen Credit-Score zu schaden.

 

Lesen Sie mehr zur Zukunft der zivilgesellschaftlichen Partizipation in der GDI-Studie «Die neuen Freiwilligen».

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