Herr Braungart, Müllverbrennung hat sich als saubere und sichere Weise etabliert, der Abfallberge Herr zu werden. Warum kritisieren Sie das?
Die Europäer setzen sehr stark darauf, Abfälle zu verbrennen. Damit sind aber die Materialien verloren, die eigentlich in Kreisläufe gehen müssten. Das Dilemma besteht darin, dass die Verbrennungsanlagen wirtschaftlich arbeiten sollen, das heisst: Heizenergie erzeugen. Der Brennwert des Haushaltsabfalls stammt aber zu 80 Prozent aus Papier und Kunststoff, das daher lieber verbrannt als recycelt wird. Wird zu viel Papier und Kunststoff heraussortiert, muss sogar Heizöl zugesetzt werden, damit der Abfall überhaupt noch brennt.
Müllverbrennung trägt also auch maßgeblich zur CO2-Emission bei?
Ja, und zwar hauptsächlich durch den Verlust der Rohstoffe. Wenn man wirklich recycelt, würde man drastisch CO2 einsparen, weil die Wiedernutzung der Materialien zwischen 90 und 95 Prozent der Energie einspart. Doch es findet kein faktisches Recycling statt, sondern nur ein Downcycling; die Dinge sind ja nie für ein Recycling entwickelt worden. Das heißt, es entstehen daraus unweigerlich immer minderwertigere Produkte.
Recycling im Sinne von getrenntem Müllsammeln hält die Menschen beschäftigt und fixiert sie in diesem linearen System, aber mit Recycling im Sinne stofflicher Wiederverwendung hat das nichts zu tun. Stattdessen perfektionieren wir das bestehende System. Das jetzige Recycling führt zu Effizienzsteigerungen, aber es führt nicht zu tatsächlichen Fortschritten.
Aber das getrennte Sammeln von Abfällen nutzt doch der Umwelt?
Die Produzenten schieben die Verantwortung, mit den Dingen richtig umzugehen, auf die Konsumenten, nur weil die Produkte das falsche Design haben. Man nimmt den Kunden als Geisel, nur weil die Hersteller und der Handel zu dumm sind, Produkt und Verpackung richtig zu gestalten.
Das Problem fängt allerdings weit früher an – sobald man überhaupt Abfall als Tatsache akzeptiert, hat man schon verloren: Die Natur kennt keinen Anfall, wir sind die einzigen Wesen, die Abfall machen. Die Natur kennt nur Nährstoffe. Und darum schlagen wir vor, nicht irgendwelche bestehenden Systeme weiterzuentwickeln, sondern einen grundlegenden Paradigmenwechsel vorzunehmen. Sonst wird das Leben der Kunden nur noch komplizierter. Irgendwann verweigert man sich als Konsument dem Recycling, denn man möchte ja nicht unbedingt seine Lebenszeit dafür aufwenden, die Unfähigkeit anderer Leute bei der Produktentwicklung durch eigenes, unnützes Engagement auszugleichen.
Aber Abfall ist doch unvermeidlich…
Das Konzept „Abfall“ ist falsch – es geht nicht darum, es nachher umzuwerten, sondern von vornherein anders zu denken. Also Kreisläufe möglich zu machen, in denen es keinen Abfall gibt, sondern alles weiterverwertbare Nährstoffe sind. Was wieder zur Rolle und Verantwortung des Herstellers zurückführt: Derjenige, der ein Produkt herstellt, ist dafür zuständig, entweder bis es in die Biosphäre geht oder in ein anderes Produkt.
Und in noch einer weiteren Hinsicht wäre es sinnvoll zu fragen, wie ein System aussieht, in dem alles nützlich ist, nicht nur «weniger schädlich». Da könnte man zu völlig anderen Dingen und Verfahren kommen. Würde man die Produkte verbessern, wären das alles wertvolle Rohstoffe.
Erfordert das nicht völlig andere Konzepte?
Sicher. Wir brauchen die in den Produkten steckenden Materialien. Auf Dauer sollte man Dienstleistungen abgeben. Wenn man nur die Nutzung verkauft, kann die Industrie viel bessere Materialien verwenden. Im Moment muss man den Kunden betrügen, um ihn zurückzugewinnen, indem die Dinge kaputt gehen. Wenn man aber definierte Nutzungszeiten hat, bekommt man den Kunden ebenfalls zurück. Von vornherein, von der Produktgestaltung an muss man die Materialien als Chance sehen. Bei einem richtigen Produkt- und Materialmanagement bräuchte man sich um Recycling gar keine Gedanken mehr zu machen.
Man würde ein De-Shopping machen, also ausgediente Dinge nicht einfach in die Tonne werfen und es dann der Müllindustrie überlassen, sich drum zu kümmern, auch wenn die letztlich nicht wissen, was in den Produkten drinsteckt. Sondern zu sagen, es gehört dem Hersteller, und er macht ein De-Shopping. Und der Nutzer weiß, die wollen die Materialien wiederhaben. Ich habe gar keine Mülltonne mehr, sondern die Inhalte werden getrennt, per Infrarot identifiziert, und sie gehen zurück zu den Leuten, die sie gemacht haben, und die verwerten sie wieder. Produkte werden so gemacht, dass sie wieder in ihre Bestandteile getrennt werden können.
Kreisläufe könnten also die Lösung des Abfallproblems sein?
Es ist wichtig, zwischen biologischen und technischen Systemen zu unterscheiden. Dinge, die verschleißen, müssen wegwerfbar sein. Dinge, die nur genutzt werden, müssen so beschaffen sein, dass sie in technische Kreisläufe zurückgehen. Die einen Dinge sind biologisch nützlich, die anderen technisch. Die Fixierung auf Hausmüll scheint mir nicht zielführend zu sein, sondern es gilt, insgesamt ein Materialmanagement anzuschauen. Wenn Europa auf echte Kreisläufe zurückgehen würde, könnten einer Studie von McKinsey zufolge pro Jahr 600 Milliarden Euro gespart werden. Auch die Firmen stünden stabiler da. Wenn sie nur die Dienstleistung, die Nutzung verkaufen, werden sie quasi zur Rohmaterial-Bank, d.h. sie haben immer schon genügend Materialien, die sie wieder einsetzen können, und damit wären sie unabhängiger von Spekulation.