Are smartwatches eroding solidarity? – The Big Self scenario

Our behaviour is increasingly translated into numbers. What does this mean for the healthcare system? The GDI study "Are smartwatches eroding solidarity? Scenarios for a data-driven healthcare system" outlines four scenarios which depict possible changes. In one of them called the Big Self scenario, the government enables healthy behaviour by providing the necessary structures and promoting education.
10 June, 2022 by
Are smartwatches eroding solidarity? – The Big Self scenario
GDI Gottlieb Duttweiler Institute
 

Der nachfolgende Text basiert auf einem Auszug aus der GDI-Studie «Entsolidarisiert die Smartwatch? Szenarien für ein datafiziertes Gesundheitssystem», die kostenlos über unsere Website bezogen werden kann.

Gen-Sequenzierungen, Schrittzähler, smarte Blutdruckmesser – unsere Gesundheit wird zunehmend in Zahlen übersetzt. Diese Datafizierung verspricht nicht nur bessere Prognosen von Gesundheitsverläufen, sie ermöglicht auch mehr Kontrolle von Verhalten. Wie aber wirkt sich diese neue Transparenz auf das Solidarprinzip der Gesundheitsversorgung aus, also auf das Prinzip, wonach die Beitragszahlungen des Einzelnen nicht von seinem Gesundheitszustand oder Verhalten abhängig gemacht werden?

Das ist keine Frage der Technologie alleine, sondern gesellschaftlicher Entscheidungen. Welche Bedingungen stellt eine Gesellschaft auf, damit jemand an der Solidarität teilhaben darf? Sind diese Bedingungen streng, so dürften die neuen Gesundheitsdaten für die Kontrolle genutzt werden: Verhält sich jemand korrekt? Sind Solidarbedingungen hingegen tolerant ausgestaltet, werden Gesundheitsdaten eher dazu genutzt, Individuen zu befähigen, möglichst gesund zu leben.

Die Studie skizziert vier Extremszenarien, und zwar entlang von zwei Achsen: den «Bedingungen für Solidarität» (streng oder tolerant) und der «Rolle des Staates» (gering oder ausgeprägt).

Im «Big Self»-Szenario spielt der Staat eine wichtige Rolle. Er verfolgt das Ziel, seinen Bürgerinnen und Bürgern möglichst mündige Gesundheitsentscheidungen und Verhaltensweisen zu ermöglichen. Dahinter steckt die Annahme, dass die meisten Menschen gerne gesund leben wollen und dazu auch grundsätzlich in der Lage sind. Sie brauchen also niemanden, der ihnen den Weg dahin vorschreibt und sie kontrolliert, womöglich aber jemanden, der ihnen das Erreichen des Ziels erleichtert. Diese Rolle übernimmt der Staat.

Wer in diesem Szenario solidarische Unterstützung einfordert, muss sich nicht erst beweisen. Vielmehr ermöglicht staatliche Unterstützung überhaupt erst gesundes Verhalten. Der Staat räumt Hindernisse aus dem Weg. Dieser Vertrauensvorschuss wird nicht nur individuellen Bürgerinnen und Bürgern entgegengebracht. Pflegende müssen beispielsweise nicht jede Leistung, wenn sie etwa nur eine Wärmeflasche bereitstellen, separat registrieren und abrechnen. Stattdessen organisieren sie sich unhierarchisch selbst und rechnen pauschal nach Stunden ohne vorgegebenes Zeitbudget ab.

Es existieren kein Zwang und auch keine Erwartung, sich gesund zu verhalten. Was hingegen erwartet wird, ist, dass Menschen wichtige Gesundheitsdaten erheben. Nicht, um sie der Allgemeinheit im Sinne einer Datensolidarität zur Verfügung zu stellen oder um sich kontrollieren zu lassen. Stattdessen geht es darum, dass Individuen über ihre eigene Gesundheit und über mögliche Risiken im Bilde sind. Es gibt also kein Recht auf Unwissen. Zumindest nicht bei denjenigen Risiken, die sich abwenden oder abschwächen lassen. Das betrifft auch Gesundheitsprognosen von ungeborenen Kindern. Die mündige und informierte Entscheidung wird höher gewichtet als ein möglicher Stress, der durch dieses Wissen verursacht sein könnte.

Informiert Entscheidungen zu treffen reicht nicht aus. Menschen müssen auch in der Lage sein, diese Entscheidungen langfristig in stabile Gewohnheiten umzusetzen. Dafür sind Fähigkeiten und Möglichkeiten notwendig. Einerseits stärkt der Staat Selbstregulationsfähigkeiten, also Fähigkeiten, zielstrebig einen Weg einzuschlagen und etwa eine vorgenommene Jogging- oder Ernährungsgewohnheit nicht gleich wieder aufzugeben. Das kann sehr unterschiedliche Massnahmen beinhalten, wie etwa städtebauliche Interventionen, welche die soziale Einbettung stärken. Der Hintergrund: Wer eher sozial eingebunden ist, übt mehr Selbstkontrolle aus. Gespräche mit Psychologinnen und Psychologen und Achtsamkeitskurse werden von der Grundversicherung übernommen. Bürgerinnen und Bürger erhalten kostenlosen telefonischen Zugang zu Gesundheitscoaches, die helfen, gesundheitliche Ziele festzulegen. Ebenfalls sorgt der Staat für finanzielle Hilfe Armutsbetroffener, da eine finanzielle Sicherheit überhaupt erst ermöglicht, sich mit Gesundheitsfragen auseinanderzusetzen. Da ein niedriger sozioökonomischer Status ein Risikofaktor für viele Gesundheitsprobleme ist, sieht der Staat eine starke Sozialpolitik als wirkungsvoller als die neuesten, bahnbrechendsten Medikamente. Die Einsparungen bei den Gesundheitskosten finanzieren diese Sozialpolitik.

Andererseits werden Möglichkeiten zu gesundem Verhalten angeboten. Ähnlich dem «Big Government»-Szenario geht es hier darum, ein Umfeld zu schaffen, welches gesundes Leben erlaubt. Digitale Assistenten sind als Küchenassistenten im Einsatz und schlagen gesunde Rezepte und Zutaten vor. Lebensmittelhersteller und Restaurants werden verpflichtet, Informationen zu Nährwerten mit ihren Nahrungsmitteln und Restaurantmenus mitzuliefern. Fahrradwege, Sportvereine, Finnenbahnen und Grünflächen werden staatlich gefördert. Die Schaffung eines gesundheitsfreundlichen Umfelds umfasst auch den Kampf gegen den Klimawandel, den es auch aus einer Perspektive der Gesundheit unbedingt einzuschränken gilt. Beispielsweise um ungesunde bis tödliche Hitzewellen zu verhindern.

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